IN DEN GLANZVOLLEN TAGEN DES IMPERIUMS

Owen Todtsteltzer tanzte rückwärts durch die Zeit, und Sternensysteme wirbelten schwindelerregend an ihm vorbei wie schimmernder Sand unter seinen dahineilenden Füßen. Die Galaxis drehte sich rings um ihn, und ihre vielen winzigen Lichter gingen wie Warnschilder an und aus. Sterne und Kometen bildeten einen endlosen Regenbogenpfad in die Vergangenheit. Owen spürte Hazel D'Arks Gegenwart, aber sie blieb ihm quälend immer einen Schritt voraus. Er spürte auch die Gegenwart anderer, die sich rings um ihn im Zeitstrom bewegten. Manche reisten neben ihm in die Vergangenheit, während sich andere in Gegenrichtung bewegten, in die Zukunft. Manche fühlten sich wie Menschen an, andere hingegen eindeutig nicht. Owen hätte eine Verbindung zu ihnen herstellen können, verzichtete aber darauf. Vielleicht war er nicht sicher, ob sie mit seinem Vorhaben einverstanden gewesen wären. Und so tanzte er weiter in die Vergangenheit, allein, aber entschlossen, und folgte der Spur, die Hazel für ihn hinterlassen hatte.

Zuzeiten gewann er den Eindruck, dass sich noch andere Richtungen boten als seine, jene schlichte Abfolge von Vergangenheit und Zukunft, dass da andere Möglichkeiten warteten, denen er auch hätte folgen können. Er fragte sich, ob das die Zeitströme waren, aus denen Hazel während der großen Rebellion ihre Kopien herbeigerufen hatte, oder ob das Zeitströme waren, in denen er nicht gestorben war und Hazel sich nie in ein Monster verwandelt hatte. Sie verlockten ihn mit dem Versprechen des Trostes, aber er blieb dem einmal gewählten Weg treu. Er wusste, was seine Pflicht war. Und ohnehin hatte er sich nur aus einer einzigen Hazel je etwas gemacht.

Endlich verringerte sich allmählich der Abstand zwischen ihnen. Hazel wurde langsamer, und er holte auf. Er verlangsamte den eigenen Tanz, und die Galaxis breitete sich rings um ihn aus, während er wieder in ihr versank und sich dabei auf einen speziellen Ort konzentrierte. Er lief durch größer werdende Sternensysteme, tanzte Pirouetten durch die Herzen tosender Sonnen und tauchte jeweils unversehrt wieder daraus auf. Er veränderte sich, ganz wie es Hazel widerfahren war. Er spürte das Ausmaß ihrer Verwandlung in der Präsenz direkt vor ihm, Anzeichen dafür, dass sie zu etwas anderem wurde. Etwas, das Owen nicht wiedererkannte. Er bemühte sich, sie einzuholen, aber irgendwie gelang es ihm nie. Vielleicht lag es daran, dass Wahnsinn und Besessenheit Hazel antrieben und er noch bei Verstand war, falls auch nur vorläufig. Er wusste, dass er nicht sah, was sich ihren Augen darbot, dass er nicht zu tun vermochte, was sie tat, ohne sich dabei selbst zu verwandeln. Er kämpfte gegen ein Gefühl der Überforderung an, ausgelöst vom schieren Ausmaß dessen, was er hier zu vollbringen versuchte. Für ihn persönlich lag es noch gar nicht so lange zurück, dass er nur irgendein beliebiger müder und ausgebrannter Krieger gewesen war, der auf den Nebenstraßen von Nebelhafen eine aussichtslose Schlacht kämpfte.

Hartnäckig griff er immer wieder mit seinen Gedanken nach ihr, versuchte einen Kontakt zu der Präsenz vor ihm zu erzwingen, aber obgleich er ... etwas berührte, konnte er sich Hazel nicht verständlich machen, egal wie laut er ihren und den eigenen Namen rief. Sie hatte ihren Weg vor ihm fortgesetzt, war weiter einer Reise und einem Vorgang gefolgt, den er kaum zu begreifen vermochte, und ungeachtet der meteoritischen Schnelligkeit seines Tanzes blieb er zurück. Aber etwas erreichte ihn aus der flüchtigen Berührung ihrer beider Seelen - eine einzelne Erinnerung an die letzte Stunde in Hazels Leben, in der sie noch gänzlich ein Mensch gewesen war.

Nach ihrem Aufbruch von Shub, dem Metallplaneten, den die KIs als Heimstätte für ihr Bewusstsein erbaut hatten, suchte Hazel D'Ark Haden auf, den Planeten für das Labyrinth des Wahnsinns. Sie glaubte, mehr Macht durch das Labyrinth erringen zu müssen, um in die Vergangenheit zu reisen. Sie materialisierte vor dem Labyrinth wie ein Kind, das nach Hause zurückkehrte, um die Zustimmung der Eltern einzuholen, aber das Labyrinth ignorierte sie. Sie rief nach ihm, aber das Labyrinth wies sie ab. Nirgendwo fand sie einen Zugang. Sie erblickte nicht mal das eigene Spiegelbild auf den glänzenden kalten Außenflächen des Labyrinths, und das beunruhigte sie auf einer tiefen, urwüchsigen Ebene. Sie schrie dem Labyrinth Beschimpfungen zu und versuchte sich den Zugang zu erzwingen, griff es mit all ihrer Macht an, gebündelt durch einen Verstand, der vor lauter Trauer und Grauen schon halb verrückt war, und sie entrang vom Labyrinth schließlich durch die schiere Wucht ihres verstörten Willens ungeformte und machtvolle Kräfte. Tränen flossen ihr über die Wangen, aber sie spürte sie nicht mehr. Sie ließ die menschliche Existenz aus eigenem Willen hinter sich, wiewohl sie aus dem menschlichsten aller Beweggründe handelte. Macht brannte in ihr, und wie der Phönix tauchte sie hell glänzend aus der Asche des alten Selbstes auf.

Und so ließ sie die Zeit fahren und stürzte sich in die Vergangenheit, trat die lange Reise an, die sie in den Schrecken umwandeln würde.

Owen verarbeitete diese Erinnerung, während er seine Geschwindigkeit immer mehr abbremste, und tauchte endlich an genau der Stelle wieder in Raum und Zeit auf, die sich zuvor Hazel ausgesucht hatte. Er fragte sich, was er vorfinden würde und warum sie sich ausgerechnet diese Stelle ausgesucht hatte.

Zu Anfang existierte das Erste Imperium. Es war wild und herrlich. Es war nicht von Bestand.
Owen materialisierte im Weltraum auf einer hohen Umlaufbahn über dem blauen und grauen Planeten, den man zu Owens Zeit Golgatha nannte. Seinen Aufenthaltsort kannte er auf die gleiche Art wie die Tatsache, dass er fast eintausend Jahre tief in die Vergangenheit vorgestoßen war. Die Sterne umkreisten ihn nicht mehr und standen feierlich funkelnd im All. Er hätte sich erschöpft fühlen sollen wie bei seiner ersten Zeitreise, als ihm die Neugeschaffenen nachsetzten, aber stattdessen empfand er ein ... Hochgefühl. Er blickte sich breit grinsend um im eisigen Vakuum des Alls, das keinerlei Macht über ihn hatte. Er fühlte sich ganz entspannt und behaglich, obwohl er keinerlei Bedürfnis verspürte zu atmen. Wie es schien, hatte seine eigene Umwandlung eingesetzt. Er kontrollierte den Puls am Handgelenk und stellte erleichtert fest, dass ihm wenigstens das bislang verblieb.
Golgatha drehte sich langsam unter ihm, aber es sah ganz anders aus, als er es kannte. Auf der blauen und grauen Oberfläche leuchteten prachtvolle Städte im Dunkeln, gewaltig wie ganze Länder und so vielschichtig geformt wie Schneeflocken. Sie leuchteten so hell in allen Farben des Regenbogens, dass es schien, als wäre der ganze Planet mit kostbaren Edelsteinen besetzt. Auroren aus glatten, beruhigenden Farben umhüllten die Welt, als wollten sie sie vor jedem Ungemach schützen.
Andererseits konnte Owen nicht übersehen, dass der Planet von Weltraumschrott jeder Art umgeben war. Satelliten in allen Formen und Größen, eher nach funktionalen als nach ästhetischen Gesichtspunkten konstruiert, bildeten einen Metallring um Golgatha. Gewaltige Raumdocks bargen halb fertige Sternenschiffe, die im Orbit gebaut wurden, weil sie zu groß waren, um jemals vom Erdboden abzuheben. Und wohin Owen auch blickte, kamen und gingen Sternenschiffe zu Tausenden und Hunderttausenden, und sie zuckten an ihm vorbei wie flüchtige Gedanken oder Absichten. Golgatha hatte nie so viel Verkehr erlebt, nicht mal auf dem Höhepunkt seiner Macht. Owen konzentrierte sich auf ein paar zufällig ausgewählte Schiffe und studierte sie gründlich, aber keines von ihnen ähnelte denen, womit er vertraut war.
Er bemerkte, dass er nach wie vor nicht Luft zu holen brauchte. Wie stark hatte er sich schon verändert? War er dazu verdammt, sich weiter zu verwandeln, bis aus ihm letztlich ein weiterer Schrecken geworden war? Er fühlte sich stärker, mächtiger, aber immer noch ... als Mensch. Und doch: falls er sich verwandelte, hatte er dann irgendeine Chance, das Ausmaß der Veränderungen von innen heraus zu begreifen oder zu würdigen? Bemerkte er es überhaupt, wenn er seiner menschlichen Natur verlustig ging? Panik stieg in ihm auf, aber er unterdrückte sie erbarmungslos. Das, was man tut, macht einen zum Menschen. So lange er sich etwas aus Hazel machte und hoffte, das aufzuhalten, was sie geworden war, blieb ihm genug menschliche Natur.
(Und doch: woher stammte die Macht, die ihm diese lange Zeitreise ermöglicht hatte und die ihn jetzt erfüllte? Warum fühlte er sich nicht erschöpft wie früher? Owen nahm sich ganz entschieden vor, später darüber nachzudenken. Derzeit beschäftigten ihn wichtigere Dinge.)
Hazel hatte ihren Sturz in die Zeit eindeutig an genau dieser Stelle unterbrochen. Zu welchem Zweck oder für wie lange, das wusste er nicht. Er spürte, wie die Spur von neuem ihren Anfang nahm und sich noch weiter in die Vergangenheit erstreckte, aber er war neugierig auf den Grund, der sie bewegt hatte, hier anzuhalten. Ungefähr tausend Jahre, das musste ihn in die Zeit des Ersten Imperiums vor dessen Niedergang und Sturz aus längst vergessenen Gründen geführt haben. Owens alte Historikerinstinkte schalteten sich ein, als sie die Möglichkeit witterten, das legendäre Erste Imperium in seiner Blütezeit zu sehen und vielleicht sogar einen Hinweis darauf zu finden, warum es so tief stürzte. Das war vielleicht das größte Geheimnis in der langen Geschichte der Menschheit. Owen lachte lautlos im Vakuum. Das war eine Gelegenheit, von der er in jüngeren Jahren geträumt hatte. Es war ein langer Weg, der ihn zurück zu seinen Anfängen geführt hatte. Er weitete die Wahrnehmung aus und versuchte zu spüren, was auf dem Planeten dort unten auf ihn wartete, aber die Städte flammten förmlich von Leben: Milliarden und Abermilliarden denkender Köpfe erzeugten ein fortwährendes Durcheinander. Es war einfach zu groß und zu komplex, als dass Owen es hätte durchschauen können, und das galt sogar in seiner neuen, verwandelten Verfassung. Er fand das seltsam beruhigend.
Während er all diesen Gedanken nachhing, hatten ein halbes Dutzend Satelliten sein plötzliches Erscheinen bemerkt und näherten sich ihm. Sie kamen langsam näher, große, scharfkantige Metallformen, die von Energiestacheln und Sensoren strotzten, jede so groß wie ein Sternenschiff. Sie bezogen vorprogrammierte Positionen rings um Owen, und auf einmal leuchteten ihre Energiestacheln mit knisternden Entladungen auf und umschlossen ihn mit einem funkelnden Käfig. Er blickte erschrocken auf, als sich die Falle schloss, und zuckte unwillkürlich unter der schieren Wucht zusammen, die ringsherum auf das Gewebe des Raums einhämmerte. Die wilden, sengenden Energien bargen genug Potenzial, um eine Stadt einen Monat lang zu beleuchten. Owen spürte das. Allein diese Nähe zu so viel nackter Energie hätte jede normale Kreatur geröstet. Owen sondierte die Satelliten vorsichtig mit seinen Gedanken, aber er entdeckte keine Spur auch nur der schlichtesten KI, lediglich den einfachen binären Code von Standardlektronen. Owen überdachte seine Lage. Er konnte der Falle mühelos entkommen, indem er einfach in den Zeitstrom zurücksank, aber er war neugierig darauf, wer eine solch brutale Falle im Orbit ausgelegt hatte und aus welchem Grund. Er hatte das starke Gefühl, dass es wohl etwas mit Hazel zu tun hatte.
Also wartete er geduldig und drehte sich einfach durch Willensimpuls mal hierhin, mal dorthin, bis schließlich jemand auftauchte, um sich anzusehen, was sich in der Falle verfangen hatte. Zunächst sah Owen nicht mehr als zwei kleine, helle Lichter, die Kurs auf ihn nahmen, aber sie wurden rasch größer. Er hatte eine Art Schiff oder Flieger erwartet und reagierte mit Erstaunen, als er endlich zwei menschliche Gestalten vor sich sah, die auf ihn zuglitten. Sie schienen sich aus eigener Kraft fortzubewegen, eingehüllt in schimmernde, silberne Kraftfelder, die an perfekt angepasste Schutzanzüge erinnerten. Die Gesichter stellten sich als blanke Spiegel dar und wiesen keine erkennbaren Sensoren auf, aber leichte Höcker auf dem Rücken, deuteten auf eine Art Antriebsaggregate hin. Die Energieanzüge saßen eng genug, sodass Owen sicher war, einen Mann und eine Frau vor sich zu sehen. Sie bremsten ab, stoppten in sicherer Entfernung vom Käfig und betrachteten Owen sorgfältig. Er winkte ihnen munter zu. Das schien keinen von beiden zu beruhigen.
In Owens Ohren knackte und knisterte es, vom Kommimplantat ausgehend, und ihm wurde klar, dass die Fremden mit ihm zu reden versuchten. Er wartete ungeduldig darauf, dass seine Kommverbindung endlich die richtige Frequenz fand, aber als die Stimmen der beiden dann verständlich wurden, stellte Owen schockiert fest, dass sie mit einem Akzent sprachen und sich in einem so obskuren und abwegigen Dialekt ausdrückten, dass er kaum ein Zehntel ihrer Worte verstand. Owen versuchte, mit ihnen zu reden, und es wurde deutlich, dass sie ihn auch nicht verstanden. In tausend Jahren kann sich eine Sprache vollständig verändern. Und so tastete Owen mit seinen Gedanken nach ihren Köpfen und entnahm ihnen die nötigen Kenntnisse direkt, um ihre Sprache zu lernen. Er hatte gar nicht geahnt, dass er dazu in der Lage war, bis er es tat. Anscheinend erstreckten sich die Veränderungen, die er durchlief, ebenso auf den Verstand wie auf den Körper.
»Hallo«, sagte er. »Ich bin Owen. Nur ein Besucher auf der Durchreise. Wer seid Ihr?«
»Ich bin Dominik Kairo«, antwortete die männliche Stimme. »Verteidiger der Menschheit. Meine Begleiterin ist Investigator Ruhmhild Chojiro. Von welch fernem Ort kommt Ihr, und wie vermögt Ihr ohne Schutz im kalten Vakuum zu überleben?«
»Ah«, sagte Owen. »Die Antwort darauf wird Euch gewiss nicht gefallen.«
»Und doch müssen wir auf einer Antwort bestehen«, mischte sich die harte Frauenstimme ein. »Wir verteidigen Herzwelt und tragen die Verantwortung für diesen Sektor. Mit der Vollmacht des Imperators Ethur verlangen wir, dass Ihr antwortet!«
»In Ordnung«, sagte Owen. »Ich komme aus der Zukunft. Aus etwa tausend Jahren von jetzt an. Fragt mich nicht, wie ich es bis hierher geschafft habe; es würde Euch nur beunruhigen. Wenn ich an die Implikationen dessen denke, was ich tue, fange ich selbst an zu wimmern. Darf ich fragen, warum Ihr mich in diesen Käfig gesteckt habt? Empfangt Ihr so alle Eure Gäste?«
»Nur besondere Fälle wie Euch«, sagte Dominik. »Ihr solltet uns jetzt lieber folgen.«
»Bleibt mir eine Wahl?«, fragte Owen.
»Was denkt Ihr?«, lautete Ruhmhilds Gegenfrage.
Sie gab den sechs Satelliten einen gebieterischen Wink, und sie folgten ihr gehorsam, als sie sich auf den Rückweg machte. Dominik begleitete sie gelassen, als gehörte er nirgendwohin als an ihre Seite. Auf die eine oder andere Art waren sie Partner, entschied Owen. Es überraschte ihn ein bisschen, dass man damals schon Investigatoren gehabt hatte, und was zum Teufel war ein Verteidiger der Menschheit? Lief irgendein Krieg gegen eine fremde Lebensform? In der Geschichte des Ersten Imperiums klafften kleine und große Löcher, und so rieb sich Owens Historikerseele begierig die Hände. Was er seinen akademischen Kollegen alles berichten konnte, wenn er zurückkehrte ...
Falls er zurückkehrte ...
Owen ließ zu, dass der Energiekäfig ihn hinter Dominik und Ruhmhild herzog. Er war überzeugt, dass er jederzeit ausbrechen konnte, aber ihn interessierte, wohin sie ihn brachten. Die Reise erwies sich als lang und langsam, und Owen war bald ausreichend gelangweilt, um ernsthaft ins Auge zu fassen, das Kommando selbst zu übernehmen, um die Sache ein bisschen zu beschleunigen. Aber er hielt es doch für besser, das nicht zu tun. Er wollte seine neuen Freunde jetzt lieber noch nicht um den Verstand bringen. Sie wirkten schon nervös genug. Also machte es sich Owen gemütlich und sah sich die Sterne an, die Satelliten und die riesigen Schiffe, die eintrafen und abfuhren. Zuzeiten gönnte er sich den Spaß, die Kennzeichen auf ihren Rümpfen telekinetisch zu verändern.
Der Planet, der einst Golgatha heißen würde, derzeit aber Herzwelt genannt wurde, hatte nur einen einzelnen Mond, und dieser war anscheinend das Ziel. Owen empfand leichte Neugier. Zu seiner Zeit dienten die unterirdischen Höhlen dieses Mondes nur als Müllkippe für Gifte. Der Mond breitete sich jetzt vor ihm aus, eine gewaltige Fläche aus kaltem, grauem Gestein. Ein einzelner riesiger Turm ragte dort auf, ein massiver Stahlblock ohne erkennbare Öffnungen oder Kennzeichen. Owen fragte, was das war, und Dominik antwortete kurz mit dem Wort Spitze, was weniger informativ war, als Owen gehofft hatte.
Alle drei sanken sie jetzt zur Spitze hinab, und es stellte sich heraus, dass diese von einem Hochspannungs-Kraftfeld eingehüllt wurde. Owen spürte richtig, wie dieses Feld an seinen verbesserten Sinnen kitzelte. Ruhmhild drehte sich um und gab den Satelliten einen Wink, und der prasselnde Energiekäfig zog sich auf einmal rings um Owen zusammen, während sich die Satelliten zurückzogen. Owen überlegte, ob er den Investigator informieren sollte, dass die Energie aus solcher Nähe kitzelte, entschied sich aber dagegen. Er wollte zumindest vorläufig noch, dass sich Ruhmhild und ihr Partner in seiner Gesellschaft sicher fühlten. Dominik führte eine Folge von Handbewegungen aus, und ein Korridor öffnete sich im Kraftfeld, dessen Grenzen durch leuchtende holografische Markierungen deutlich angezeigt wurden. Dominik und Ruhmhild führten Owen hindurch und blieben dabei auf sicherer Distanz zu dem Energiekäfig, und das Kraftfeld schloss sich hinter ihnen wieder. Voraus öffnete sich eine Reihe schwerer Sprengschutztüren, die hinter ihnen wieder ins Schloss fielen. So gelangten sie ins Innere der Spitze und dort in einen riesigen Fahrstuhl, der groß genug für eine ganze Menschenmenge war. Sie begannen eine lange Fahrt abwärts durch die Spitze und weiter ins Innere des Mondes. Owen entwickelte allmählich eine Vorstellung davon, wohin man ihn gebracht hatte.
Der Fahrstuhl legte einen sehr langen Weg zurück, ehe er sich schließlich öffnete und den Blick in eine gänzlich schlichte Empfangszone freigab. Dominik und Ruhmhild gaben Owen mit einem Wink zu verstehen, er möge vorausgehen, also führte er seinen Energiekäfig zu einem lässigen Spaziergang durch die Empfangszone aus. Alle vier Wände waren mit Dutzenden Bildschirmen bedeckt, von denen jeder ein anderes Bild zeigte, welches fortlaufend auf immer neue Perspektiven wechselte. Eine zentrale Komm- und Steuerkonsole erschien ihm recht vertraut, wenn auch für seinen Geschmack mit ein bisschen zu viel Zierrat versehen.
Der Energiekäfig ging plötzlich aus, und nur zwei Ringe aus knisternder Energie um Owens Handgelenke blieben zurück. Owen stellte sie verstohlen auf die Probe und bemühte sich, nicht zu lächeln. Dominik und Ruhmhild standen vor ihm, und ihre silbernen Kraftfelder gingen aus. Zum ersten Mal hatte Owen freien Blick auf die Personen, die ihn festgenommen hatten. Ruhmhild Chojiro erwies sich als kleine, stämmige Frau von kaum einen Meter fünfzig. Sie war recht muskulös, hatte breite Schultern und eine stattliche Oberweite. Das Gesicht wies eindeutig asiatische Linien auf, ergänzt durch pechschwarze Haare und Augen. Sie war völlig nackt, aber ihre Haut bestand aus rosa Metall, so weit Owen das überblicken konnte, und er konnte wirklich ganz schön weit blicken. Weder Nähte noch andere Kennzeichen deuteten an, dass das Metall eine Art Rüstung war, also akzeptierte Owen es widerstrebend als Ruhmhilds Haut. Sie wirkte für einen Investigator ein bisschen klein, aber man konnte nicht bestreiten, dass sie die Haltung einer Kriegerin an den Tag legte. Obwohl sie keine sichtbaren Waffen mitführte.
Dominik Kairo war groß und schlank und auf eine ästhetische Art muskulös, und auch er präsentierte sich splitterfasernackt. Die Haut war von kühlem Himmelblau und zeigte auf Gesicht und Brustkorb anscheinend metallische Schaltkreise. Das Gesicht wirkte unter einem Schopf aus buschigen Silberhaaren auf freundliche Art nachdenklich. Er legte eine Hand an die nackte Hüfte, und sie verschwand kurz, ehe sie mit einer großen und klobigen Strahlenwaffe wieder auftauchte. Owen zog eine Braue hoch.
»Guter Trick«, räumte er ein. »Woher stammt die Pistole?«
»Aus einer Subraumtasche«, antwortete Dominik. »Natürlich nur auf mich codiert. Habt Ihr so was noch nie gesehen? Interessant. Wir bewahren alle unsere Waffen und Werkzeuge in Subraumschließfächern auf, die sich im rechten Winkel zu unserer Dimension befinden und so programmiert sind, dass sie nur unsere Befehle entgegennehmen. Also verzichtet doch freundlicherweise auf jeglichen aggressiven Impuls.«
»Falls Ihr etwas gegen uns unternehmt, werdet Ihr bestraft«, hieb Ruhmhild in die gleiche Kerbe.
»Oh, vergesst das«, sagte Owen. Er stellte fest, dass er wieder normal atmete, aber eine andere Idee lenkte ihn ab »Friert Ihr beide denn nie, wenn Ihr so herumlauft? Nackt meine ich.«
»Ich sagte Euch ja, dass er ein Barbar ist«, wandte sich Ruhmhild an Dominik. »Wahrscheinlich von einem der äußeren Planeten, wo die Leute immer noch unter Tabus leiden.«
»Er sagt, er käme aus der Zukunft«, erinnerte Dominik sie sanft. »Und er hat tatsächlich die Satelliten aktiviert. Es stellt sich auch die bislang unbeantwortete Frage, wie er ohne unsere Vorteile im Vakuum überleben konnte.«
»An mir ist mehr, als man mit bloßem Auge sieht«, sagte Owen.
»Nicht weiter überraschend«, fand Ruhmhild. »Und verhaltet Euch in unserer Gegenwart höflich.« Sie trat näher an ihn heran, um ihn effektiver anfunkeln zu können. »Ihr befindet Euch hier im Haus der Besserung und seid unterwegs zu den Haltepferchen, es sei denn, Ihr könntet uns eine akzeptable Erklärung liefern.«
»Ja, ich dachte mir schon, dass dies eine Art Gefängnis ist«, sagte Owen. »Es hat diese deprimierende Atmosphäre. Was genau werft Ihr mir vor?«
»Na ja«, sagte Dominik, »dass Ihr unheimlich und ungewöhnlich seid und möglicherweise eine Gefahr für die Menschheit. Als Investigator und Verteidiger nehmen meine Partnerin und ich solche Dinge äußerst ernst. Ihr solltet Eure Lage nicht falsch einschätzen. Wir haben Grund, Kreaturen wie Euch zu fürchten, die aus dem Nichts erscheinen und in keine bekannten Parameter passen. Wir befinden uns derzeit tief unter der Oberfläche des Mondes, dort, wo wir die schlimmsten Verbrecher der Menschheit verwahren. Die hart gesottenen Wiederholungstäter, die über jede Hilfe hinaus sind oder diese nicht wünschen.«
»Und was passiert mit ihnen?«, wollte Owen wissen. »Bleiben sie hier, bis sie sterben?«
»Natürlich nicht!«, antwortete Dominik erkennbar schockiert. »Wir löschen ihnen das Gedächtnis, sodass sie ein neues Leben beginnen können, ohne Belastung durch ihre Vergangenheit.«
»Wir haben hier mit den Allerschlimmsten zu tun«, fügte Ruhmhild hinzu. »Wir haben schon alles gehört und gesehen und lassen uns niemals durch Zweifel beirren.«
»Nette Ansprache«, meinte Owen. »Ehrlich, ich bin beeindruckt! Und durch und durch eingeschüchtert. Wie viele Verbrecher habt Ihr hier?«
»Derzeit dreihundertsiebenundvierzig«, antwortete Dominik. Er wirkte recht umgänglich, aber die auf Owen gerichtete Pistole wich keinen Augenblick lang vom Ziel ab. »Im Haus der Besserung gelten äußerste Sicherheitsvorkehrungen. Ihr bleibt hier, bis über Euer Schicksal entschieden wurde. Denkt nicht einmal an Flucht!«
»Oh, vergesst den Gedanken«, sagte Owen. »Ich bin doch gerade erst angekommen. Ich vermute, es kommt nicht in Frage, dass wir uns mal unter Freunden über einer netten Tasse Tee zusammensetzen und schwatzen?«
Sie ignorierten ihn und holten eine ganze Reihe ihm undurchschaubarer technischer Gegenstände aus ihren Subraumtaschen. Dunkle hässliche Dinge, die von Metalldornen strotzten. Owen entschied, dass es Grenzen gab für das, was er zu schlucken gedachte, besonders wenn es darum ging, die Hose fallen zu lassen und sich vorzubeugen, aber zum Glück wollten Dominik und Ruhmhild nichts weiter tun, als ihn aus sicherer Distanz zu studieren. Owen spürte, wie Energiefluktuationen über ihn hinweg - und an ihm vorbeiflossen, aber nichts davon war sonderlich unangenehm, sodass er sie einfach gewähren ließ. Er war doch tatsächlich neugierig darauf, was sie womöglich über seinen neuen Zustand zu sagen hatten. Dominik und Ruhmhild lasen ihre Anzeigen, zeigten finstere Mienen, murmelten viel und gerieten schließlich in eine kurze, aber heftige Auseinandersetzung darüber, was das alles zu bedeuten hatte. Owen gelangte bedauernd zu dem Schluss, dass er letztlich aus der Technik des Ersten Imperiums doch keinerlei nützliche Einblicke erhalten würde.
»Seht mal«, sagte er schließlich. »Warum fragt Ihr mich nicht einfach, wenn Ihr etwas erfahren möchtet? Ich kann Euch zwar schon im Voraus garantieren, dass Euch die meisten Antworten nicht gefallen werden, aber andererseits gefallen sie mir ja auch nicht. Tatsächlich wünsche ich mir zuzeiten richtig, ich könnte verschwinden und Ihr damit aufhören, mich zu belästigen. Also: ich bin Owen, der Erste meiner Familie und Oberhaupt meines Clans. Rebell und Krieger, Held und Legendengestalt. Zumindest sagen mir die Leute das. Den größten Teil meines Lebens habe ich allerdings mit historischen Studien verbracht, aber dann stellte sich heraus, dass die Geschichte andere Pläne für mich hatte. Ich bin nun in die Vergangenheit gereist, indem ich der Spur einer Freundin folgte. Hilft Euch das weiter?«
»Eigentlich nicht«, sagte Dominik nach einer Pause.
»In Ordnung«, sagte Owen geduldig. »Fangen wir mit den Grundlagen an. Wer seid Ihr? Ich glaube zu wissen, was ein Investigator ist, aber was zum Teufel stellt ein Verteidiger der Menschheit dar?«
Ruhmhild und Dominik blickten einander an, und endlich zuckte Ruhmhild die Achseln. »Ich bin Investigator Chojiro. Es ist mir eine Pflicht und eine Ehre, alle den Rahmen des Üblichen sprengenden Gefahren für die Menschheit zu untersuchen und ihnen entgegenzutreten. Egal ob diese Gefahren von innen oder außen kommen. Ich verfüge über Vollmachten sowohl des Niederen als auch des Hohen Rechts und über die Autorität, Personen hinzurichten, ohne sie zu warnen oder ihnen eine Berufungsmöglichkeit zu bieten. Derzeit bin ich auf Herzwelt stationiert, dem Zentrum des Imperiums, und ich und alle meine Brüder wurden mit der Aufgabe betraut, auf die Rückkehr von etwas wie Euch zu achten oder von dem, was Euch vorausging.«
»Ich bin Verteidiger der Menschheit Dominik Kairo. Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass die Einwohner des Imperiums keine neu entwickelten Techniken oder medizinischen Verbesserungen dazu nutzen, sich in etwas Nichtmenschliches zu verwandeln. Die Natur der Menschheit muss respektiert und gewahrt bleiben, und ich verfüge über die nötigen Vollmachten des Niederen und des Hohen Rechts, um mich mit allem auseinander zu setzen, was diese Natur gefährdet. Ich verteidige den Geist der Menschheit. Eine schwierige Aufgabe in der heutigen Zeit der Vakuumtänzer, der Wasseratmer und Hochschwerkraftstreuner. Wie ich sehe, kennt Ihr diese Begriffe nicht. Ursprünglich wurden diese Anpassungstechniken entwickelt, um Menschen für die auf anderen Planeten herrschenden Bedingungen tauglich zu machen. Warum die Zeit und Kosten für die Umwandlung eines Planeten aufwenden, wenn es doch so viel einfacher ist, die Leute zu verändern? Leider laufen diese Modifikationen inzwischen nur aus Gründen des Nervenkitzels und der Mode Amok. Man trifft heute die unterschiedlichsten Formen von Menschen an, und nicht alle davon sind noch zur Gänze Menschen.«
»Unsere beiden Kasten wurden vor ungefähr hundert Jahren erschaffen«, fuhr Ruhmhild fort. »Nachdem eine Folge katastrophaler Erstkontakte mit fremden Lebensformen zu Kriegen und zur Vernichtung ganzer Fremdwesenkulturen im Namen der menschlichen Bestimmung geführt hatte. Heute sind wir dabei, sie nach bestem Vermögen neu aufzubauen, und haben geschworen, nie wieder so unmenschlich zu handeln. Eine noble Bestrebung, aber die sich beschleunigenden Veränderungen der menschlichen Gestalt wirken sich auch auf Verstand und Seele der Menschen aus. Niemand kann mehr über alle Unterformen der menschlichen Spezies auf dem Laufenden bleiben. Und heutzutage trifft man nicht mehr annähernd genug Investigatoren oder Verteidiger an. Der Imperator wird alt und schert sich nicht mehr um diese Dinge, und seine Untertanen lassen sich von seinem Beispiel inspirieren.«
»Ihr habt Euch einen schlechten Zeitpunkt ausgesucht, um uns zu besuchen, Owen«, sagte Dominik. »In diesen traurigen Tagen der Verzweiflung, die das Imperium ergreift.«
»Warum seid Ihr hier?«, fragte Ruhmhild scharf. »Welche Absicht verfolgt Ihr?«
»Wie ich Euch schon sagte, komme ich aus der Zukunft«, erklärte Owen geduldig. »Und ich suche nach meiner Freundin, die mir vorausging. Ihr scheint die Vorstellung der Zeitreise etwas leichter zu verkraften, als ich erwartet hatte. Verfügt Ihr selbst darüber?«
»Nein«, antwortete Ruhmhild. »Jede Forschung auf diesem Gebiet wurde nach der lange zurückliegenden Illuminatenkrise verboten. Aber wir hatten schon Begegnungen mit Euresgleichen. Deshalb wurdet Ihr auch in einen Käfig gesteckt und tragt nach wie vor die Energiefesseln. Wir werden nicht riskieren, dass solches Grauen erneut Amok läuft.«
»Warum tragt Ihr diese antike Waffe?«, wollte Dominik auf einmal wissen und deutete auf das Schwert, das Owen an der Hüfte trug. »Ist es zeremonieller Natur oder dient es als Symbol für Eure Männlichkeit?«
»Weder noch«, antwortete Owen trocken. »Es ist mein Schwert. Meine Waffe. Dort, woher ich komme, trägt jeder ein Schwert. Wir haben natürlich auch Strahlenwaffen, aber wir kämpfen lieber mit kaltem Stahl. Es ist eine ehrenvolle Waffe.«
Dominik schnitt zum ersten Mal ein finsteres Gesicht. »Was könnte ehrenhaft daran sein, Menschen zu töten? Der Investigator und ich führen Strahlenwaffen mit, wie es unsere Pflicht verlangt, aber sie sind einfach nur präzise und von brutaler Wirksamkeit. Mehr kann man von einem Mordwerkzeug nicht erwarten. Es ist eine schreckliche Verantwortung, das Leben eines anderen zu nehmen.«
»Warum seid Ihr hier, Owen?«, beharrte Ruhmhild. »Was möchtet Ihr?«
»Ich bin meiner Freundin Hazel gefolgt. Ihre Spur führte mich her.«
»Hazel?«, fragte Dominik. »Dieses Ding war einmal ein Mensch?«
Ruhmhild schnaubte lautstark; die dunklen Augen blickten hart, und die Lippen formten eine grimmige Linie. »Eure Freundin hat vielleicht einmal als Mensch angefangen, aber was hier eintraf, war eher eine fürchterliche Naturgewalt. Sie erschien aus dem Nichts heraus, manifestierte sich in einem Tachyonenregen auf einer hohen Umlaufbahn und gab zu erkennen, dass sie durch die Zeit reiste. Sie wies keinerlei körperliche Gestalt oder Dimension auf, war einfach nur eine ungeheure, grauenhafte Präsenz, von Willenskraft direkt ins Gewebe der Wirklichkeit hineingestanzt. Sie war gigantisch und mächtig und so gnadenlos wie nur irgendein Teufel. Sie sank auf Herzwelt herab, fegte alle unsere Abwehreinrichtungen weg und tobte sich auf der ganzen Welt aus, indem sie Tod und Verwüstung verbreitete. Sie riss die Erde auf und wütete in den Städten herum, und keine unserer Waffen konnte sie auch nur erreichen. Wir nannten sie den Verrückten Verstand, ausgehend von einer Legende aus der Frühzeit des Imperiums.«
(So, dachte Owen. Jetzt weiß ich, wohin ich mich als Nächstes wende.)
»Schließlich«, erzählte Dominik, »verschwand der Verrückte Verstand so schnell, wie er gekommen war
- aber da lag unsere halbe Welt schon in blutigen Ruinen. Und seitdem warten wir darauf, ob nicht noch solch ein Monster aus der Zeit über uns herfällt.«
»Und hier seid Ihr«, sagte Ruhmhild. »In unserer Gewalt, um Euch für die Verbrechen Eurer ... Freundin zu verantworten.«
»Können wir das wirklich tun?«, fragte Dominik, der nicht mal versuchte, seine Unsicherheit zu verhehlen. »Ich meine, seht Euch den Burschen nur mal an! Er weist keinerlei Ähnlichkeit mit dem Verrückten Verstand auf, weder der Gestalt noch dem Wesen nach. Wir dürfen doch nicht ein Individuum für die Verbrechen eines anderen zur Verantwortung ziehen. Das wäre ... unmenschlich.«
»Es ist der Wille des Imperators!«
»Wirklich? Vielleicht würde er anders empfinden, falls er Owen begegnete.«
Owen ließ sie eine Zeit lang zanken, aber bald wurde deutlich, dass sie nicht in naher Zukunft zu einem Ergebnis gelangen würden, und so mischte er sich aufs Neue ein. »Warum herrscht so viel Raumschiffverkehr auf Herzwelt? Liegt irgendein Notfall vor? Vielleicht etwas, wobei ich helfen könnte?«
»Nein«, sagte Dominik. »Eine Menge Menschen verlassen Herzwelt, um die äußeren Kolonien aufzusuchen. Um ihrem jeweiligen Glauben zu folgen oder dem angekündigten Niedergang und Sturz des Imperiums zu entrinnen. Ratten, die ein sinkendes Schiff verlassen. Die Menschheit hat sich ... aufgetrennt, gespalten. Wir alle unterscheiden uns inzwischen zu sehr voneinander. Jeder schreit nach den allerneuesten Techimplantaten, Chemoverstärkern und genetischen Umbauten. Alle möglichen Subspezies existieren inzwischen; nichts ist verboten, und es herrscht ein Wildwuchs an Experimenten. Wir wissen alles darüber, wie man den Körper verändert, aber nicht annähernd genug über die Auswirkungen dieses Tuns auf die Seele, die menschliche Natur. Wir kennen inzwischen ein Dutzend verschiedene Geschlechter, Formen kollektiven Bewusstseins und von MenschTier-Kombinationen. Ideen sind zum Gegenstand der Mode geworden, und Persönlichkeiten wechseln nach Lust und Laune den Körper und tragen unterschiedliche Gestalten wie Anzüge.«
»Ihr seid so ein süßes altmodisches Ding, Dom«, meinte Ruhmhild und lächelte zum ersten Mal. »Es ist nicht alles schlecht. Der Körperwechsel hat uns ermöglicht, das Universum zu erforschen. Wir wandeln auf Planeten, die wir früher nie hätten erleben können, da die Terraformung ihre wahre Natur zerstört hätte. Wir atmen Gift, stehen unter der härtesten Schwerkraft aufrecht und schwimmen durch Gasplaneten.«
»Das ist aber nicht der Grund, warum man auf Herzwelt den Körper wechselt«, blieb Dominik hartnäckig. »Wandel ist heutzutage voll in Mode, nur des Nervenkitzels, der Erfahrung halber. Wir hungern alle so verzweifelt nach neuen Erlebnissen! Wenn nichts mehr verboten ist, wo holt man sich dann den billigen Nervenkitzel und die kranken kleinen Freuden der Sünde? Alles ist heute möglich, und deshalb fällt das Imperium auseinander. Wir haben zu viele Gruppen, Untergruppen, ketzerische Glaubensvorstellungen ... Keinerlei Konsens ist mehr möglich. Deshalb ist das Parlament zu einem Witz geworden, denn es streiten sich einfach zu viele Positionen, Religionen und Philosophien. Die einzige echte Autorität geht vom Imperator aus, verdammt sei seine unsterbliche Seele, und seine Prätorianergarde. Diese Leute eignen sich immer mehr Vorrechte an, die eigentlich den Investigatoren und den Verteidigern zustehen. Die Gesellschaft zerfällt, und das Zentrum bindet sie nicht mehr zusammen. Die eigene Freiheit und die eigenen Gelüste teilen die Menschhheit. Viele der Grenzwelten weisen heute schon die Autorität von Herzwelt zurück und versinken in der Barbarei.«
Ruhmhild musterte Owen scharf. »Ist das Euer Werk? Beeinflusst Ihr Dominik mit Euren Kräften aus der Zukunft in irgendeiner Form? Normalerweise redet er weder so viel noch so offen.«
»Das stimmt«, sagte Dominik. »Das tue ich nicht.«
»Hat nichts mit mir zu tun«, sagte Owen. »Ich denke ... Ihr beide habt nur schon lange auf jemanden gewartet, mit dem Ihr reden könnt. Jemanden, der auch zuhört. Vielleicht kann ich helfen, da ich schon mal hier bin. In meiner eigenen Zeit habe ich eine Rebellion angeführt, die ein goldenes Zeitalter begründete. Zumindest behaupten das alle Leute immer mir gegenüber ...«
Ruhmhild schüttelte kurz den Kopf. »Nein. Wir haben unsere Befehle und unsere Verantwortung. Ihr werdet hier festgehalten, während wir weitere Instruktionen einholen. Nach den Verheerungen des Verrückten Verstandes dürfen wir mit keinem Besucher aus Eurer Zukunft ein Risiko eingehen.«
»Aber er gehört nicht hierher«, beharrte Dominik. »Nicht zu diesen ... Gesetzesbrechern.«
»Wen habt Ihr denn hier?«, fragte Owen. »Was gilt denn noch als Verbrechen, wenn hier solche Freiheit herrscht?«
»Wenn der Erfindungsreichtum die Möglichkeiten erweitert, blüht das Verbrechen«, erklärte Ruhmhild. »Im Haus der Besserung findet man Körpertauschterroristen, Persönlichkeitskrebse, Talentdiebe, Kultführer, die mit Hilfe von Zwangsmemen neue Gefolgsleute sammeln, Geschlechtsterroristen, die neue Geschlechter zu entwickeln versuchen, indem sie mit unfreiwilligen Opfern experimentieren.«
»Und Ansel deLangford«, ergänzte Dominik. »Unser jüngster Neuzugang. Oberhaupt des Killerkitzelkultes. Er hat seine Gefolgsleute angestiftet, Mord zu einer Kunstform zu entwickeln. Je komplexer, je grotesker und je extremer, desto besser. Seine Anhänger wetteiferten darum, ihm immer schlimmere Gräueltaten zu präsentieren, aber er war stets der Schlimmste von allen. Er hat sich auf Mordtechniken spezialisiert, die durch ihre entsetzliche Art Verstand und Seelen der Freunde und Angehörigen der Opfer zerstörten. Der Killerkitzelkult hat ganze Subspezies und Kulturen vernichtet, all das im Namen seines perversen Kunstbegriffs, ehe wir ihn ausschalten konnten. Psychopathische Genussmörder, die sich tanzend und singend durch das Chaos eines untergehenden Imperiums fortbewegten. Aber endlich gehört deLangford uns, und wir werden auch noch die letzte Information aus ihm herausquetschen, sodass auch die letzten Reste seines Kults mit ihm sterben.«
»Mir gegenüber seid Ihr nie so redselig«, sagte Ruhmhild. Sie wandte sich Owen zu. »Noch Fragen?«
»Ja«, sagte Owen. »Warum seid Ihr von rosa Metall überzogen?«
Und in diesem Augenblick heulten alle Alarmsirenen der Welt zugleich los. Sirenen und Glocken und eine verdammt große Menge blinkender Lampen beteiligten sich daran. Während Owen versuchte, in alle Richtungen gleichzeitig zu blicken, warfen Ruhmhild und Dominik kurze Blicke auf die Wandmonitore und liefen dann zur Hauptkonsole. Die Bilder auf den Monitoren wechselten jetzt nicht mehr laufend, sondern konzentrierten sich auf eine Reihe von Zellentüren, die sich eine nach der anderen bedächtig öffneten. Wild schreiende Menschen strömten auf die Stahlflure hinaus. Die Alarmgeräusche schalteten sich ab, und so konnten die Lautsprecher Rufe und Schreie und heiseres Rachegebrüll übermitteln. Sämtliche Gefangenen waren befreit worden und suchten schon nach Waffen und einem Weg nach draußen. Außer einem Mann, der gelassen vor einer Überwachungskamera stand, hineinlächelte und völlig entspannt wirkte. Er sah fast gewöhnlich aus, bis man ihm in die Augen blickte. Owen schauderte, als er den Mann ansah, der vom Monitor blickte. Er hatte solche Augen schon gesehen. Kalte, verrückte Killeraugen.
Es schien gar nicht so lange her, dass er Kit Sommer-Eiland umgebracht hatte, auch unter dem Namen Kid Death bekannt.
»DeLangford«, sagte Dominik grimmig. »Irgendwie hat er die Lektronen manipulieren können. Er hat sämtliche Overrides aktiviert und dazu Codes benutzt, von deren Existenz er nicht mal hätte wissen dürfen. Wir können nichts tun.«
»Er wollte hierhergebracht werden«, sagte Ruhmhild. »Er hat die anderen auch nicht aus Mitmenschlichkeit freigesetzt. Er plant etwas. Etwas Furchtbares.«
»Ruft die Wachen!«, empfahl Owen. »Wie viele sind hier stationiert?«
Ruhmhild und Dominik sahen ihn an. »Wir haben hier keine Wachen«, stellte Dominik fest. »Nur die Lektronen. Gewöhnlich brauchen wir nicht mehr. Wir sind schließlich auf einem Mond. Wohin sollte sich ein Flüchtiger wenden? Aber deLangford ist gar nicht an Flucht interessiert. Er möchte hier Kunst veranstalten. Mordkunst. Er hat allerdings auf etwas gewartet, das uns herlockte. Denn er möchte ja ein Publikum haben.«
»Ihr meint, er hat die übrigen Gefangenen freigesetzt, damit sie ihm dabei zusehen können, wie er Euch umbringt?«, fragte Owen.
»Nein«, entgegnete Ruhmhild. »Er denkt in größeren Begriffen. Er wird die Gefangenen zum eigenen Vergnügen umbringen. Das würde zu ihm passen. Und wir dürfen ihm dabei zusehen.«
»Außer, dass wir das nicht hinnehmen dürfen«, erklärte Dominik.
»Warum nicht?«, fragte Owen. »Ihr habt doch selbst gesagt, die Gefangenen hier wären die Allerschlimmsten.«
Dominik starrte ihn an und zeigte offen, wie schockiert er war. »Sie sind hier, um geheilt zu werden und ein neues Leben zu erhalten! Sie sollen doch nicht bestraft, gar hingerichtet werden! Das wäre... unmenschlich. Wir töten nur, wenn es sein muss.«
»Vielleicht wird es ja nötig«, wandte Ruhmhild ein, deren rosa Hände gewandt über die Steuertastatur flogen. »DeLangford hat alle nichttödlichen Sicherheitsvorkehrungen abgeschaltet. Auf keinen Fall kann er ohne Hilfe in diese Lektronen eingedrungen sein. Er muss jemanden mitgebracht haben. Eigentlich hätte er bei seiner Ankunft hier innerlich und äußerlich gründlich durchsucht werden müssen, aber sein Kult hat überall Leute sitzen. Die Lektronen werden sich nicht rechtzeitig selbst reparieren, Dom. Wir müssen diese Sache aus eigener Kraft stoppen.«
»Bestimmt wenden sie sich zum Entladehangar«, sagte Dominik. »Dort bietet sich der einzige Weg fort von diesem Mond. Im Moment liegt kein Schiff im Dock, aber das wissen sie ja nicht. Wir können sie im Hangar einschließen, ein paar ausschalten, um den Rest zu beruhigen, und sie dann dort festhalten, bis die Lektronen wieder online sind.«
»Zu simpel«, fand Ruhmhild. »DeLangford wird sich dagegen abgesichert haben. Er hatte reichlich Zeit, um diese Sache zu planen. Seine Morde sind von jeher Kunstwerke.«
»Aber er weiß nichts von mir«, wandte Owen ein. »Dafür wird er keinerlei Vorkehrung getroffen haben. Gestattet mir, Euch zu helfen. Bitte, ich möchte Euch helfen!«
Dominik und Ruhmhild musterten ihn und blickten sich dann gegenseitig an. »Wir brauchen ihn«, gab Dominik zu bedenken. »Und er wirkt recht vernünftig ...«
»Aber unsere Befehle ...«
»Erwähnen keinen Gefangenenausbruch! Die Rettung von Menschenleben kommt an erster Stelle.«
»Natürlich tut sie das, Verteidiger.« Ruhmhild drückte eine Taste am Handgelenk, und die Energiefesseln um Owens Handgelenke gingen aus.
Owen lächelte. Er hätte sich jederzeit befreien können, aber er wollte, dass sie ihm vertrauten. Er betrachtete die Bilder auf den Wandmonitoren, wo schreiende Menschen durch die schlichten Stahlflure rannten. Es waren eine Menge Leute, aber sie erweckten nicht den Anschein, als würden sie ihn unbewaffnet vor allzu große Probleme stellen. Außer ... dass alle Gefangenen irre Gesichter schnitten. Owen wies daraufhin, und Dominik nickte grimmig.
»DeLangford hat sie alle mit dem Killerkitzelkult infiziert«, sagte Ruhmhild. »Sie gehören ihm jetzt. Sie leben nur noch dafür, für ihn und seine Kunst zu töten. Möglicherweise müssen wir sie letztlich alle umbringen, weil sie sich nie ergeben werden. Das können sie gar nicht.«
Sie sprach ein Wort aus, das Owen nicht verstand, und auf einmal kräuselte sich die Luft rings um Ruhmhild Chojiro, und sie verschwand und machte einer neuen Gestalt Platz. Diese war etwa dreißig Zentimeter größer und sehr viel breiter gebaut, von ungefähr menschenähnlicher Gestalt, aber vollständig aus einer leuchtenden Goldrüstung zusammengesetzt. Der massive, geschossförmige Kopf zeigte keinerlei Gesichtszüge, nur eine Reihe von Vorsprüngen, bei denen es sich vielleicht um Sensoren handelte. Eine Reihe von Schusswaffenmündungen ragten aus der Fassbrust hervor, und rasiermesserscharfe Klingen säumten Arme und Beine. Und doch war die Goldrüstung nahtlos aufgebaut und bewegte sich elegant und lässig. Die Metallgestalt war eindeutig lebendig. Owen blickte Dominik an.
»Was ist das bitte?«
»Es ist Ruhmhild«, antwortete Dominik. »Sie hat ihren Vollzugskörper angelegt, organisches Metall mit eingebauten Waffen. Wir alle verfügen heutzutage über viele Körper, erinnert Ihr Euch? Ich ziehe mir auch gleich einen geeigneteren Körper an.«
»Und wie viele davon habt Ihr?«, fragte Owen fasziniert.
»Siebenundzwanzig. Ruhmhild hat dreiundvierzig. Unsere Arbeit erfordert Flexibilität. Wir bewahren diese Körper im Subraumschließfach auf und holen sie nach Bedarf hervor. Ihr habt doch nicht geglaubt, ich würde ständig so aussehen, oder?«
Und einfach so verwandelte auch er sich in etwas anderes. Immer noch im Grunde menschlich, immer noch blassblau. Dominik steckte jetzt in einer perfekteren, einer idealisierten Gestalt. Etwas an diesem neuen, gelassen lächelnden Gesicht und der subtilen Körpersprache vermittelte Owen den Wunsch, allem zuzuhören, was dieser neue Dominik zu sagen hatte. Er wollte ihm zustimmen und ihm jeden Gefallen tun. Owen schüttelte heftig den Kopf. Ein Großteil der Körpersprache war unterschwellig und wirkte direkt aufs Unterbewusstsein, aber Owen sah es trotzdem deutlich und schüttelte es ab. Er funkelte Dominik an, der entspannt lächelte.
»Glückwunsch«, sagte der Verteidiger mit einer wundervoll warmen und freundlichen Stimme. »Die meisten Menschen erkennen nicht mal, was ich tue, geschweige denn, dass sie es so rasch abschütteln würden. Als Verteidiger der Menschheit benutze ich nur ungern Waffen. Ich ziehe subtilere Methoden vor. Noch besteht die Möglichkeit, dass ich diese Menschen von deLangfords Konditionierung befreien kann.«
»Wir suchen jetzt den Entladehangar auf«, verkündete Ruhmhild mit einer rauen summenden Stimme, die Owen unwiderstehlich an einen Hadenmann erinnerte. »Wir beide gehen voraus. Ihr bleibt hinter uns und schützt Euch selbst. Kommt uns nicht in die Quere und bemüht Euch, nicht in Schwierigkeiten zu geraten.«
»Ihr kennt mich wirklich nicht«, sagte Owen Todtsteltzer.

Ruhmhild und Dominik gingen voraus durch die glänzenden Stahlflure. Ruhmhilds schwere Metallschritte klangen laut in der Stille. Schon hatten die drei so viele Abzweigungen und Biegungen hinter sich gebracht, dass Owen sich hoffnungslos hätte verirrt haben sollen, aber irgendwie hatte er es nicht. Er spürte richtig die Form und Anlage des gesamten Gefängnisses und seinen jeweiligen Standort darin. Nachdem er Hazel in die Vergangenheit gefolgt war, fiel ihm das hier leicht.

»Die Gefangenen sind auf nur einen Körper beschränkt«, erklärte Ruhmhild. »Und sie werden nur solche Waffen zur Hand haben, die sie improvisieren konnten.«

»Ich versuche zunächst, sie zu überreden«, sagte Dominik. »Falls das nicht klappt, seid Ihr an der Reihe, Investigator. Versucht, Schäden auf ein Mindestmaß zu begrenzen.«
»Natürlich, Verteidiger.«
Sie betraten den Entladehangar. Er war leer, breitete

sich als große, glänzende Höhle aus Stahl mit dem üblichen Zubehör vor ihnen aus. Ruhmhild stampfte durch die Gegend und kontrollierte, ob alles im wünschenswerten Zustand war. Es hätte sie nicht überrascht, falls deLangford diesen Raum irgendwie mit Sprengfallen versehen hätte, aber alles schien okay. Dominik beugte sich über eine einzelne Steuerkonsole und überzeugte sich davon, dass die Luftschleuse nach wie vor gesichert war. Owen blickte sich nachdenklich um. Er war fast sicher, dass er etwas gehört hatte. Dominik schüttelte unglücklich den perfekten Kopf.

»Ich hatte mir Sorgen gemacht, deLangfords Leute hätten vielleicht ein Schiff gekapert und hergebracht, damit ihrem Boss im Durcheinander die Flucht gelingt; die Sensoren zeigen aber nur unser eigenes Schiff im Orbit. Nur wir können es herabrufen, und wir beide würden eher sterben, als das in uns gesetzte Vertrauen zu verraten. DeLangford weiß das. Also, was er wohl plant...«

»Ich bin ziemlich sicher, dass ich etwas gehört habe«, sagte Owen.
»Das habt Ihr«, erklärte Ruhmhilds raues Summen. »Die Gefangenen sind hier.«
Die Hangartür flog krachend auf, und ein heulender Mob stürmte herein. Dutzende Gefangene mit verrückten Augen brüllten vor Wut und schwangen Knüppel und scharfe Werkzeuge. Dominik Kairo trat vor und stellte sich ihnen entgegen, und die vorderste Reihe stoppte, als wäre sie vor eine Mauer gelaufen. Die Menge ballte sich dahinter, versperrte den Zugang und hielt damit den Rest draußen. Dominik blickte die Gefangenen lächelnd an, und einige erwiderten das Lächeln doch tatsächlich. Der Verteidiger sprach zu ihnen mit ruhiger und vernünftiger Stimme, bat sie innezuhalten und über das nachzudenken, was sie hier taten. Er trat so ruhig auf, so gelassen, so verständig, dass einige im Mob lächelnd nickten. Ein paar brachen gar in Tränen aus und gestanden laut Verbrechen, die sie nie zuvor preisgegeben hatten, wie Kinder, die verzweifelt waren, weil sie einen geliebten Vater enttäuscht hatten. Und dann hob jemand weiter hinten in der Menge eine Strahlenwaffe und schoss auf Dominik. Owen sprang mit unmöglicher Schnelligkeit vor und stieß Dominik aus der Schussbahn. Der Strahl prallte harmlos von Ruhmhilds goldener Brust ab.
»Woher zum Teufel kamen sie an eine Strahlenwaffe?« heulte Dominik.
Ruhmhild trat vor, die Geschützmündungen aus der fassförmigen Brust ausgefahren. Sie eröffnete das Feuer, und geballte Energiestrahlen schlugen im Mob ein. Fleisch explodierte, und Männer zerplatzten zu blutigen Klümpchen, als die Waffen ein ums andere Mal schossen. Ruhmhild drang weiter vor und pustete eine Bahn mitten durch den Mob. Doch immer mehr Gefangene drängten von hinten heran und schrien vor Hass und Wut. Ruhmhild konnte sie nicht schnell genug umbringen, um sie alle zum Stehen zu bringen.
Dominik schüttelte Owens stützende Hände ab und sprang vor, um seiner Partnerin beizustehen. Er erhob aufs Neue die perfekte Stimme, aber diesmal verwendete er harte, hässliche Wörter und einen Tonfall, der direkt ins Unterbewusstsein traf und tief sitzende Auslöser von Scham und Angst stimulierte. Einige Gefangene brachen auf dem Stahlfußboden zusammen, weinten oder fielen ins Koma. Dominiks Körper pumpte Pheromone hervor, die sich auf die Stimmung auswirkten. Er war ein Verteidiger der Menschheit, und das waren seine einzigen Waffen. Er hielt stand, selbst dann, als ein weiterer Energiestrahl nur knapp seinen Kopf verfehlte.
Ruhmhild und Dominik standen zusammen, und jeder kämpfte auf die eigene Art, aber die schiere Anzahl der Aufrührer überwältigte sie. Die Gefangenen wimmelten um Ruhmhild herum, hämmerten mit improvisierten Waffen auf ihren Metallkörper ein, und Blut lief über Dominiks perfektes Gesicht. Schritt für Schritt wichen die beiden vom Eingang zurück, sodass immer mehr Gefangene in den Hangar eindringen konnten. Alle stießen sie das gleiche entsetzliche Lachen aus und waren erpicht auf Blut und Gemetzel.
Und Owen Todtsteltzer entschied, dass genug genug war. Er hatte seinen beiden neuen Freunden jede Gelegenheit eingeräumt, die Angelegenheit zu bereinigen, aber eindeutig reichten all ihr Mut und all ihre Fähigkeiten nicht aus. Also zog er das Schwert und warf sich den Gefangenen entgegen. Schnell war er zwischen ihnen, gewandt wie ein Tänzer, tödlich über jede Hoffnung oder Gnade hinaus. Er schnitt einen blutigen Pfad durch den heulenden Mob, und keiner konnte ihn aufhalten. Sie waren es nicht gewöhnt, sich kaltem Stahl entgegenzustellen. Owen fühlte sich schneller und stärker als je zuvor, sogar ehe er den berühmten Aufwind seiner Familie aktivierte. Er hieb Männer mit einer brutalen Wildheit nieder, die sogar die hartgesottenen Gefangenen schockierte. Getroffene kippten in alle Richtungen und schrien in ihrem Todesschmerz, Blut spritzte auf die Stahlwände und sammelte sich in dicken Pfützen auf dem Boden. Owen hieb, hackte und schlug um sich und trieb die Gefangenen zurück. Die wenigen Überlebenden wandten sich schließlich zur Flucht, und Owen folgte ihnen und machte auch sie nieder. Langsam senkte er das Schwert und blickte sich schwer atmend um.
Ein Mann stand immer noch unter der Tür. Er trug eine Strahlenwaffe, aber er legte sie auf den Stahlfußboden, damit er Owen applaudieren konnte.
»Euch hatte ich nicht erwartet«, sagte er. »Ein unerwartetes Vergnügen. Ich bin deLangford. Wer oder was könntet Ihr wohl sein?«
Owen grinste. »Ich bin der Todtsteltzer, und mehr braucht Ihr nicht zu erfahren. Jetzt bleibt schön dort stehen und nehmt die Hände hoch! Tut ja nichts Unvermitteltes, oder ich schnitze aus Euch eine angenehmere Person.« Er blickte zu Ruhmhild und Dominik zurück, die ihre vorherigen Körper wieder angenommen hatten. Beide erwiderten seinen Blick, offenes Entsetzen und Schock in den Gesichtern. Owen war ein bisschen verärgert, wenn er daran dachte, dass er ihnen gerade das Leben gerettet hatte. »Wo liegt das Problem?«
»Lieber Gott!«, sagte Dominik. »Ich habe noch nie im Leben so etwas gesehen. Ihr habt sie zerschnitten wie Fleisch! Es war... grauenhaft. Unmenschlich! Ihr seid ein Barbar! Menschen tun so etwas nicht!«
»Vielleicht nicht in Eurer Zeit«, wandte Owen ein. »Ich hingegen wurde zum Krieger erzogen und in der härtesten aller Schulen ausgebildet. Ihr solltet mir dankbar sein. Sie hätten Euch in Stücke gerissen, falls ich sie nicht aufgehalten hätte.«
»Ihr hättet sie nicht alle umbringen müssen!«
»Doch, musste ich«, sagte Owen.
»Ihr habt es genossen!«, beschuldigte ihn Ruhmhild. »Ihr habt gelächelt und gelacht, während Ihr diese Menschen niedergemetzelt habt.«
Owen dachte darüber nach. »Ich bin stolz, wenn ich meine Arbeit gut mache«, sagte er schließlich. »Und nichts schenkt einem ein besseres Gefühl, als am Leben zu bleiben, wenn andere einen tot sehen möchten. Ich ergötze mich nicht an ihrem Tod, aber ich empfinde auch keinerlei Schuld. Mir ist aufgefallen, dass Ihr recht froh schient, aus der Distanz mit diesen entsetzlich wirkungsvollen Waffen in sie hineinzuschießen. Das ist aber keine Art zu töten. Man braucht richtig Mumm, um sich mit dem Schwert in der Hand in den Kampf zu stürzen, das eigene Leben aufs Spiel zu setzen und sich auf die eigenen Fähigkeiten und den eigenen Mut zu verlassen, um es zu überstehen. Mord sollte nie kalt und gefühllos begangen werden. Man sollte stets bereit sein, mit Blut für das Blut zu bezahlen, das man vergießt.«
»Ja«, pflichtete ihm deLangford bei. »Ihr begreift es.«
»Haltet die Klappe, Ihr Mistkerl!«, verlangte Owen. »Also, Ruhmhild und Dominik - was machen wir mit ihm? Er ist schließlich der Grund für all dieses Töten.«
»Kunst«, wandte deLangford ein. »Ich habe mir diese wertlosen Menschen genommen und ihnen Bedeutung verliehen. Was hier geschah, wird man im ganzen Imperium berichten. Ich habe Euren glanzvollen letzten Kampf möglich gemacht. Ich habe Menschen genommen, auf die es nie ankam, nicht mal ihnen selbst, und ihnen Glanz verliehen, wenn auch nur für einen Augenblick. Jetzt sind sie Teil einer Erzählung, einer Legende, die man über die Jahrhunderte überliefern wird. Ich habe Euer Heldentum möglich gemacht. Ihm Form und Bedeutung verliehen. Ihr solltet mir danken. Ich habe aus Euch Kunst gemacht. Und jetzt ergebe ich mich.«
»Keine Legende ist auch nur ein Menschenleben wert«, sagte Owen. »Vertraut mir, ich weiß das. Was tun wir mit ihm?«
»Er kommt wieder in seine Zelle«, antwortete Ruhmhild. »Nachdem wir ihn sehr gründlich durchsucht haben. Die Lektronen werden jetzt jeden Augenblick erneut online gehen.«
Owen sah sie an. »Und das ist alles? Er ist für all die verlorenen Menschenleben hier verantwortlich! Ihr selbst hättet dabei umkommen können! Wie könnt Ihr nur überzeugt sein, dass er es später nicht von neuem tut?«
»Nichts davon hat Bedeutung«, erklärte Dominik. »Er hat sich ergeben. Wir können ihn nicht mehr bestrafen. Das wäre nicht richtig.«
»Zum Teufel damit!«, sagte Owen. Er blickte deLangford an und gab seinem Zorn die Zügel frei. DeLangfords Kopf explodierte und bespritzte die Umgebung mit Blut, Hirn und Schädelsplittern. Die Leiche sank langsam auf die Knie, während Blut aus dem Hals spritzte, und Ruhmhild und Dominik schrien vor Schreck und Ekel auf. Die Leiche kippte vorwärts und lag still. Owen schüttelte dicke Blutstropfen von der Schwertspitze und steckte die Waffe in die Scheide zurück.
»Aus was für einer Zukunft kommt Ihr eigentlich?«, fragte Dominik mit zittriger Stimme. »Die Kreaturen wie Euch und den Verrückten Verstand hervorbringt?«
»Ich sollte Euch gleich hier und jetzt umbringen«, meinte Ruhmhild. »Ihr seid kein taugliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft. Ich sollte ...«
»Ich an Eurer Stelle täte es nicht«, sagte Owen, und etwas schwang in seiner Stimme mit, was beide stocken ließ.
Dominik packte Ruhmhild am Arm. »Das ist zu viel für uns. Er muss vor Gericht gestellt werden, muss sich dem Imperator stellen. Soll Ethur entscheiden, was mit ihm geschieht.«
»Im Grunde entscheide ich selbst, was mit mir geschieht«, sagte Owen. »Aber ich möchte Euren Imperator treffen. Ich bin sicher, dass er mir viel über... den Verrückten Verstand erzählen kann. Sorgt Euch nicht. Ich verspreche Euch, dass ich ihm nichts antue.«
»Ihr werdet wieder die Energiefesseln tragen müssen«, erklärte Ruhmhild entschieden. »Wir dürfen die Sicherheit des Imperators nicht aufs Spiel setzen.«
»Falls Ihr Euch dann besser fühlt«, sagte Owen zuvorkommend.
Die Energiebande knisterten wieder an seinen Handgelenken, und der Investigator und der Verteidiger entspannten sich ein wenig. Ruhmhild rief ihr Schiff aus dem Orbit herab, während Dominik Owen scharf musterte. Owen seinerseits musterte Dominik. Allmählich hatte er den Dreh heraus, wie man Körpersprache deutete.
»Ihr liebt sie, nicht wahr?«, fragte Owen leise und deutete mit dem Kopf auf Ruhmhild. »Habt Ihr es ihr je eingestanden?«
»Was? Nein! Ich ...«
»Tut es«, empfahl ihm Owen. »Wartet damit nicht, bis es zu spät ist.«

Und so flogen die drei nach Herzwelt hinab, das eines Tages Golgatha und später Logres genannt werden würde.
Sie benutzten ein großes und kastenförmiges

Schiff, das keinen Namen trug, sondern nur eine Nummer. Owen kannte das Modell überhaupt nicht. Es suchte sich mühelos einen Weg durch den dichten Verkehr und glitt anschließend mit nur dem Hauch eines Rucks in die Atmosphäre. Owen saß hinten in der Kabine, im Interesse seiner eigenen Sicherheit festgeschnallt, und amüsierte sich, indem er die Farbe seiner Energiebande änderte, wenn jeweils niemand zusah.

Dominik und Ruhmhild stritten sich die meiste Zeit während des Fluges über den Zielort und darüber, wie sie Owen am besten vor den Imperator schafften. Sie schienen felsenfest überzeugt, dass eine ganze Menge politischer und religiöser Gruppen Owen nur zu gern in die Hand bekämen, bewegt von diversen Gründen, kaum einer davon erfreulicher Natur. Und sie alle wären wohl absolut willens, Owen und jeden seiner Begleiter umzubringen, statt sie einer anderen Gruppe zu überlassen. Besonders Ruhmhild schien besorgt, wie viel Schaden manche Gruppen anrichten könnten, falls sie Owen und seine unheimlichen Fähigkeiten in die Finger bekämen.

»Oh, darüber würde ich mir nicht den Kopf zerbrechen«, erklärte Owen frohgemut. »Ich bezweifle sehr, dass man hier jemanden antrifft, der mich zu irgendetwas zwingen könnte, was ich nicht tun möchte.«

Das schien Ruhmhild und Dominik nicht im Mindesten zu beruhigen, sodass sie für den Rest des Fluges weitgehend den Mund hielten, bis Ruhmhild das Schiff abbremste, um Owen etwas zu zeigen. Ein Abschnitt des Schotts neben Owen wurde durchsichtig, sodass er zum Planeten hinabblicken konnte. Die Aussicht machte nicht viel her. Mitten in einer Wüste lag ein großer, tiefer und dunkler Krater, voller sich ringelnder grauer Nebel, die durchsetzt waren von Blitzen. Schon beim Anblick des Kraters fühlte sich Owen seltsam unruhig und besorgt.

»Was Ihr dort seht, war einst die Stadt der Engel«, sagte Ruhmhild kalt. »Jetzt ist es nur noch ein Loch in der Erde, erfüllt von Quanteninstabilität. Millionen von Menschen sind hier umgekommen, wurden innerhalb eines Augenblicks der Verärgerung vom Verrückten Verstand ausgelöscht. Eine Wunde in der Welt, die nie wieder heilen wird. Die meisten Einwohner sind sofort gestorben. Das waren diejenigen, die noch Glück hatten. Leider wurden die am Rand des Effekts nur teilweise beeinflusst. Sie leben weiter, nicht mehr als Menschen jedoch, und hausen an einem Ort, an dem Realität ein zweifelhaftes Konzept ist. Wir sehen manchmal einige von ihnen, Monster in Gestalt und Geist. Sie verändern sich fortlaufend und nehmen nie länger als für ein paar Augenblicke massive oder klar erkennbare Form an. Die Stadt der Engel ist heute ein Ort des Grauens und wird es immer bleiben.«

»Wir haben alle möglichen Rettungsteams entsandt«, berichtete Dominik. »Wissenschaftler wie auch Priester, geschützt durch Kraftfelder. Ausnahmslos Freiwillige, die helfen wollten. Keiner ist zurückgekehrt. Nach meinen jüngsten Informationen überlegen sich die Verantwortlichen, ob sie nicht die gesamte Zone mit einem gewaltigen Kraftfeld von Industriestärke abschotten sollen, um dann den entsprechenden Teil der Planetenoberfläche in den Weltraum hinauszuschießen. Auf dass er dort zum Problem anderer werde.«

»Warum ihn nicht in die Sonne schießen?«, fragte

Owen.
»Was, falls die Quanteninstabilität die Sonne be
einflusst?«, fragte Ruhmhild. »Derzeit können wir
lediglich Warnschilder aufstellen, die verkünden:
Hier hausen Monster.
Und Wachen postieren, um die armen Dinger abzuschießen, die gelegentlich aus dem Krater hervorkriechen. Und zu Gott beten, dass sich dieser Schlamassel nicht ausbreitet.«
»Und das ist nur einer der Albträume, die Eure
Freundin, der Verrückte Verstand, uns hinterlassen
hat«, sagte Dominik.
»Was eine Macht anrichtet, kann eine andere vielleicht beheben«, sagte Owen.
Er streckte seine Gedanken aus. Er spürte, wie Hazels Präsenz den Krater düster und verwirrt durchdrang, sich ruhelos auf der Wunde in der Erde bewegte und niemals reglos blieb. Es war nicht Hazel
selbst, nur etwas, das sie zurückgelassen hatte. Owen
löschte es innerhalb eines Augenblicks aus wie eine
Erinnerung, die er loswerden wollte. Die grauen Nebelschwaden und die unsteten Blitze verschwanden wie ein schlechter Traum, und nur noch ein großes Loch klaffte in der Erde. Owen spürte, wie sich darin Lebensfunken rührten, aber es waren wieder normale Menschen. Er hoffte, dass auch sie sich nicht erinnerten. Er lehnte sich zurück, war für den Moment er
schöpft.
Dominik und Ruhmhild betrachteten eine Zeit lang
forschend die Anzeigen ihrer Schiffssensoren und
stritten laut über das, was gerade unter ihnen passiert
war. Ihre Stimmen drückten Schrecken und etwas
aus, was vielleicht Ehrfurcht war. Schließlich drehten
sie sich fast widerstrebend um und blickten Owen an. »Wie zum Teufel habt Ihr das gemacht?«, wollte
Dominik wissen. »Über was für eine Macht gebietet
Ihr?«
»Ich weiß es selbst nicht«, antwortete Owen. »Ich
lerne immer noch. Hoffentlich genug, um Hazel aufzuhalten, wenn ich sie schließlich einhole.«
»Könnt Ihr die Stadt zurückbringen und die Menschen, die umgekommen sind?«
»Nein. Ich bin nur ein Mensch.«
»Diese Energiefesseln haben gar keine Wirkung
auf Euch, nicht wahr?«, fragte Ruhmhild.
»Ich fürchte nein«, sagte Owen. »Aber ich behalte
sie bei Hofe an, falls sich alle dann besser fühlen.« »Anstatt zu riskieren, dass Ihr frei herumlauft«,
sagte Ruhmhild, »sollte ich das Schiff lieber zum
Absturz bringen.«
»Bitte tut das nicht. Es hätte ohnehin keinerlei
Auswirkung auf mich«, wandte Owen ruhig ein. »Wollt Ihr Euch bitte entspannen? Ich bin kein weiterer Verrückter Verstand. Ich möchte einfach mit Eurem Imperator reden und herausfinden, was er von Hazel weiß. Warum sie wurde ... was sie war, und was sie überhaupt ursprünglich hier gesucht hat. Ich muss diese Dinge herausfinden, falls ich sie aufhalten soll. Ihr habt ja keine Ahnung, was letztlich aus ihr wird. Euch zuliebe spiele ich jedoch nach wie vor den Gefangenen bei Hofe. Ich möchte niemanden verletzen. Ich suche nur Antworten auf meine Fra
gen, und dann setze ich meine Reise fort.«
»Warum grabt Ihr die Antworten nicht einfach aus
unseren Gedanken hervor?«, wollte Dominik wissen.
»Ihr wärt doch dazu fähig, nicht wahr?«
»Ja«, sagte Owen. »Aber ich tue es nicht. Denn es
wäre unmenschlich, Verteidiger.«

Sie landeten auf dem Hauptraumhafen von Herzwelt in der Hauptstadt Virimonde. Owen reagierte kurz erschrocken. Die historische Forschung auf seinem Heimatplaneten hatte nie einen Hinweis darauf geliefert, woher der Name stammte. Das war nur ein weiteres Zeichen davon, wie viele historische Kenntnisse verloren gingen, als das Erste Imperium zusammenbrach und verbrannte. Der Raumhafen von Herzwelt war nur eine riesige Freifläche, auf der dicht gedrängt Raumschiffe aller Formen und Größen standen. Große, brutale Konstruktionen von geringem ästhetischen Wert und noch geringerer Anmut. Sie waren auf Zweckdienlichkeit ausgelegt und sonst nichts. In etwa das, was man von einem Zeitalter auch erwartet hätte, das seinen Schiffen Nummern verlieh anstatt Namen.

Dominik und Ruhmhild tischten dem Personal im Tower einen ganzen Batzen Lügen auf, was den Grund für die unerwartete Rückkehr nach Herzwelt anging, und beriefen sich auf ihre Autorität als Verteidiger und Investigator, um so schnell wie möglich von Bord gehen zu können. Owen entfernte mit Erlaubnis der beiden die Energiefesseln, weil sie nur Aufmerksamkeit geweckt hätten.

Sie beschlagnahmten einen Gepäckwagen mit Antischwerkraftmotoren und fuhren damit zum Rand des Raumhafens, um dann zu Fuß durch die Stadt zum Imperialen Palast zu gehen. Viel Verkehr herrschte nicht, weder auf den Straßen noch am Himmel. Als Owen das ansprach, erfuhr er, dass die meisten Menschen lieber die allgegenwärtigen Transferportale benutzten, die ihre Benutzer an den jeweils gewünschten Bestimmungsort teleportierten. Als Owen nicht ganz ohne Grund wissen wollte, warum sie sie jetzt nicht benutzten, erläuterte ihm Ruhmhild, dass die Portale darauf programmiert waren, Menschen zu versetzen, und sie war ziemlich sicher, dass sich Owen nicht für diesen Begriff qualifizierte. Gott allein wusste, wie viel Energie nötig war, das zu teleportieren, was aus ihm geworden war. Also ging man zu Fuß. Niemand fand das auffällig; jede Menge Leute spazierten gern durch die Stadt. Aus allen möglichen Gründen.

Owen schritt zwischen Dominik und Ruhmhild einher, und niemand schenkte ihm Beachtung. Nach einiger Zeit erstaunte ihn das auch nicht mehr. Auf den breiten Straßen wimmelte es von seltsamen und exotischen Personen, viele von ihnen nur noch Grenzfälle des Menschen, wie Owen den Begriff verstand. Alle redeten durcheinander, und niemand schien dem anderen zuzuhören. Alle Arten Musik erfüllten die Luft und hämmerten aus allen Richtungen auf den Zuhörer ein, und Lieder trieben wie Wolken dahin. Die Häuser waren allesamt in leuchtenden Grundfarben gehalten und ragten hoch in den Himmel auf. Werbebotschaften leuchteten auf und erloschen wieder, und grelle Hologramme sprangen aus allen möglichen Ecken hervor und belästigten jeden, der dumm genug war, Blickkontakt zu ihnen herzustellen. Die Hälfte dieser Hologramme boten Waren und Dienstleistungen an, die Owen überhaupt nicht kannte. Wohin er auch blickte, zeigten sich die Menschen, die Werbung und die Ladenfassaden überwältigend lautstark und grell. Und diese fantastischen und wunderbaren Menschen, die den Boulevards folgten, um zu sehen und gesehen zu werden, und die stolz dahinschlenderten wie Paradiesvögel! Aristokraten des großartigsten Imperiums in der Geschichte der Menschheit.

Selbst wenn sie gar nicht alle nach Menschen aussahen. Manche zeigten offen ihre Knochen, gehüllt in durchsichtiges Fleisch und durchsichtige Haut, und nur die leisesten Spuren von blauen und scharlachroten Ganglien wurden als Kontrast gezeigt. Andere flogen mit Flügeln von ganz weißem Gefieder durch die parfümierte Luft oder waren so breit und schwer, dass der Erdboden unter ihren Schritten erbebte; wieder andere verfügten über Gliedmaßen in jeglicher Anzahl oder aufgepflanzte Vorsprünge, deren Ursprung bei Fremdwesen liegen musste. Und natürlich die vielen verschiedenen Geschlechter! Owen erblickte Leute mit Genitalien, die an saftige Blütenblätter unbekannter Blumen erinnerten, oder mit solchen, die eher wie stachelige Peitschen oder fleischige Steckdosen wirkten. Dazu kamen Hermaphroditen mit drei oder vier Sätzen von Genitalien. Owen wusste nicht, wie er reagieren sollte, als ihm einer dieser Leute zublinzelte.

»Nicht glotzen!«, mahnte ihn Dominik streng. »Damit wirkt Ihr wie ein Tourist.«
»Hätten wir nicht zum Palast fliegen können?«, fragte Owen nun doch eine Spur wehleidig. »Ich denke, ich erleide gleich einen Kulturschock.«
»Niemand fliegt heutzutage mehr, außer diesen geflügelten Wundern dort oben«, erklärte ihm Ruhmhild. »Die Menschen gehen entweder zu Fuß oder benutzen Transferportale. Ein Flugschiff zu benutzen wäre ... ungewöhnlich. Das würde auffallen. Zu Fuß gehen ist okay. Die Menschen gehen spazieren, um ihre jüngsten Gestalten und Adaptationen zu zeigen und andere durch ihr Beispiel für ihr besonderes Anliegen oder ihre Lieblingsmode zu gewinnen.«
Owen hörte zu, sah sich dabei aber auch weiter um. Nicht mal die wildesten Gebiete seines Imperiums konnten sich mit dem hier vergleichen. Allmählich fühlte er sich wie der Barbar, als den Ruhmhild ihn bezeichnet hatte, war wie benommen von seinem ersten Einblick in echte Zivilisation. Wohin er auch blickte, er sah extreme Formen und Veränderungen, die nur noch flüchtigste Bezüge zur grundlegenden menschlichen Norm hatten. Owen konnte nicht umhin, sich zu fragen, wie sehr man den eigenen Körper verändern und dabei im Herzen Mensch bleiben konnte. Er erinnerte sich an die Hadenmänner und Wampyre seiner eigenen Zeit und schauderte kurz. Das Einzige, was er hier nicht sah, war irgendjemand, der ihm selbst ähnlich gesehen hätte. Er fühlte sich vage einsam mitten in dieser exotischen Menge. Sein Blick fiel auch auf Bereiche, die mit Zutritt auf eigene Gefahr markiert waren, und er machte Ruhmhild darauf aufmerksam. Sie schniefte laut.
»Manche Gestalten sind so extrem, dass sie schon ansteckend wirken; so machtvoll, dass sie schwächere Charaktere überwältigen. Sie sind nicht verboten - denn verboten ist gar nichts - aber man erwartet von ihnen, sich auf streng definierte Gebiete zu beschränken. Manche streunen immer wieder daraus hervor, aber wir scheuchen sie zurück, sobald wir sie entdecken. Seht Ihr jene Straße dort drüben?«
Owen blickte eine Seitenstraße hinab, die Zeit der Hexen hieß. Frauen, die Zöpfe und Perlen und sonst kaum etwas anhatten, schwebten in der Luft, redeten in Zungen und jonglierten Feuer mit den bloßen Händen. Ruhmhild sagte etwas über die Erkundung neuer spiritueller Wege, aber Owen war ziemlich sicher, dass er hier die Anfänge des Esper-Phänomens erblickte.
Ein weiterer abgetrennter Bereich war Sexland mit Hunderten viel zu nackter Menschen viel zu vieler Geschlechter, vereint zu einer gewaltigen, flächendeckenden Orgie, die weder Anfang noch Ende zu haben schien. Der Lärm war überwältigend. Menschen kamen und gingen fortwährend, sodass zwar einzelne Teilnehmer wechselten, die Orgie jedoch ihren Fortgang nahm und das vielleicht für immer.
»Nur eine von vielen Methoden, um sich selbst zu vergessen«, sagte Dominik, anscheinend unbeeindruckt von einem Anblick, bei dem sich Owen entschieden heiß und unbehaglich fühlte. »Eine von vielen Methoden, um nicht nachdenken zu müssen. Man hat schon davon gehört, dass Menschen hier umgekommen sind. Nicht die schlechteste aller Methoden, denke ich, aber ...«
Walhalla war ein großer, freier Platz, geschmückt mit Flaggen und Bannern aller Art, und hier brodelte eine Menschenmenge, deren Teilnehmer allesamt ernsthaft erpicht schienen, sich gegenseitig umzubringen. Gewaltige Muskelprotze, meist in Felle gekleidet, hackten mit schweren Äxten aufeinander ein. Schreie und Kriegsrufe ertönten überall; die Toten häuften sich, und das Blut lief dick durch die tiefen Abflussrinnen. Owen verfolgte den unaufhörlichen Kampf eine Zeit lang, und obgleich er den allgemeinen Enthusiasmus bewunderte, musste er die meisten Kämpfer als krasse Amateure einstufen, die in den Arenen seiner Zeit keine fünf Minuten durchgehalten hätten.
»Man findet immer Leute, die sich zu den schlichten, brutalen Freuden der Barbarei hingezogen fühlen«, erklärte Ruhmhild. »Walhalla steht aller Welt offen, sodass sich jeder hineinstürzen kann, der dumm genug ist oder genug Selbstbild in seinen Kampfkörper investiert hat, um dann zu kämpfen, solange er mag oder durchhält. Angeblich dreht sich das ums Überleben des Tüchtigsten und aktive Evolution, aber im Grunde ist es nur wieder eine Möglichkeit, nicht über die Schwierigkeiten des modernen Lebens nachdenken zu müssen, sondern sich lieber wie ein Tier zu verhalten.«
Das nächste Reservat gehörte den Psychonauten. Männer und Frauen saßen oder lagen auf bequemen Sofas, die Gesichter leer, die Gedanken anderswo. Die meisten wirkten dürr oder regelrecht unterernährt, und ihre Kleidung bestand aus schmutzigen Lumpen. Einige lachten, andere weinten. Sie erinnerten Owen an die armen missgestalteten Kreaturen, die er im Anbau zum Labyrinth des Wahnsinns gesehen hatte: Männer und Frauen jenseits der Grenzen des menschlichen Bewusstseins, verloren in den unbeleuchteten Tiefen der eigenen Seelen. Er äußerte sich dahingehend, und Dominik zeigte sich aufrichtig schockiert.
»Diese Menschen sind Helden, Owen! Allesamt sind es Freiwillige, die neue Drogen ausprobieren, um zu sehen, was sie bewirken und was man daraus lernen kann. Sie tauchen in unbekannte übersinnliche Dimensionen vor, erleben veränderte Bewusstseinszustände und denken außerhalb der Grenzen des Körpers. Sie suchen nach Antworten, die man anderswo nicht findet.«
»Und welche Antworten haben sie bislang gefunden?«, erkundigte sich Owen.
Ruhmhild schnitt ein finsteres Gesicht. »Nichts, was von irgendeinem Nutzen wäre! Eine Menge von ihnen kommen überhaupt nicht mehr zurück, wo immer sie auch hingegangen sind. Hier findet laufend Personalwechsel statt, aber nie bleibt ein Sofa leer. Sie behaupten, sich den Mysterien der menschlichen Natur zu stellen, aber die meisten sind zu sehr in die hübschen Farben vertieft, um sich zu ernähren oder sonst auf sich aufzupassen. Ich würde die ganze Sache auch wieder dem Eskapismus zuschreiben.«
»Wir müssen die Antworten schließlich irgendwo finden«, beharrte Dominik.
»Man findet Antworten, indem man draußen sucht, nicht drinnen«, entgegnete Ruhmhild.
Und dann drehten sich alle drei scharf um, als laute Schreie ein Stück weiter auf ihrem Weg ertönten. Auf einmal liefen Menschen an ihnen vorbei und verstreuten sich wie in Panik geratene Kinder, ein Aufruhr von Formen und Farben. Alle liefen sie vor irgendetwas davon, die Gesichter ein Ausdruck des verzweifelten Verlangens nach Flucht, und sie gingen dabei ohne jede Rücksicht vor und trampelten über Gestürzte hinweg. Dominik, Ruhmhild und Owen hielten ihre Position wie drei Felsen in einer tosenden Flut.
In Ruhmhild Chojiros Händen tauchten sofort mehrere Strahlenwaffen aus ihren Subraumtaschen auf. Leute rannten rechts und links an ihr vorbei. Weiter vorn war die Straße bald frei, abgesehen von einer Schar unterschiedlicher Personen, die in perfektem Gleichschritt heranmarschiert kamen. Ihre Schritte krachten wie einer; die Gesichter waren maskenhaft erstarrt. Die Art, wie sich diese Leute bewegten und wie sie aussahen, hatte etwas unterschwellig Unmenschliches an sich, und eine kalte Brise lief Owen über die gesträubten Nackenhaare. Seine Hand fuhr zum Schwertgurt. Ihm war gerade aufgefallen, dass alle Augenpaare dort drüben synchron liefen, wie von einem einzigen Gedanken, einer einzigen Absicht getrieben.
»Ein Ausbruch von Gruppenbewusstsein«, erklärte Dominik. Ihm schien beinahe schlecht zu sein, so angewidert klang er. »Dasjenige Phänomen unserer Gesellschaft, das einer Obszönität noch am nächsten kommt, Owen. Der Tod der Individualität in einer Gruppengestalt von zunehmender Kraft, in der sich alle dem Massenbewusstsein unterordnen. Keine Persönlichkeit mehr, keine Bedürfnisse oder Leidenschaften, nur Instinkt und Appetit und Herdentrieb. Und je größer das Massenbewusstsein wird, desto stärker wird es auch und saugt schwächere Gehirne auch gegen deren Willen auf.«
»Und was verursacht dieses Phänomen?«, fragte Owen und behielt die näher kommende Gruppe wachsam im Blick.
»Niemand weiß es«, antwortete Ruhmhild. »Es tritt spontan auf, hat etwas mit Übervölkerung und Anpassungsdruck zu tun. Vielleicht ist es die absolute Flucht aus dem Druck des Menschseins. Wir wissen lediglich, dass es immer häufiger passiert.«
»Also was unternehmen wir?«, fragte Owen. »Schlagen wir sie alle nieder und transportieren sie zu Eurem Haus der Besserung, damit man sie dort in Ordnung bringt?«
»Nein«, sagte Ruhmhild. »Für das, was sie geworden sind, gibt es keine Heilung.«
Owen spürte plötzlich den Druck des Massenbewusstseins in den eigenen Gedanken. Es fühlte sich an wie ein übersinnliches Loch, in das alles und jeder für immer fallen konnte. Nichts Menschliches war mehr daran. Owen rief die eigene Macht auf, wusste aber ehrlich nicht, was er mit ihr anfangen sollte. Wie so vieles andere in dieser schönen neuen Welt ging das Massenbewusstsein über seine Begriffe.
Das Geräusch näher kommender Laufschritte brachte ihn wieder zur Besinnung, und eine kleine Armee von Personen in strahlenden Jaderüstungen stürzte plötzlich aus einer Seitenstraße hervor. Sie alle trugen Strahlenwaffen und stellten harte Mienen zur Schau. Ohne Vorwarnung schossen sie auf die Gruppe des Massenbewusstseins und machten sich dabei auch nicht die Mühe, Ziele auszuwählen. Menschen explodierten zu blutigem Nebel, und versengte Leichenteile flogen in die Luft. Auf einmal erfüllte der Gestank von vergossenem Blut und verbranntem Fleisch die Straße. Das Massenbewusstsein versuchte gleich einer Schar verängstigter Vögel auseinander zu laufen, vermochte aber nicht das eigene Muster aufzulösen. Die jadegepanzerten Neuankömmlinge drangen weiter vor und feuerten immer wieder ihre starken Waffen ab, ohne Pause und ohne Erbarmen, bis alle Körper des Massenbewusstseins tot waren und nur noch verbrannte und blutige Reste auf der Straße zurückblieben.
»Sie hatten nie eine Chance«, stellte Owen fest.
Etwas in seinem Ton alarmierte Dominik, der rasch Owens Schwerthand packte und sie festhielt. »Denkt nicht mal daran, Euch einzumischen oder eine Meinung auszudrücken! Das ist die Prätorianergarde des Imperators. Sein Wille allein lenkt sie. Und sie hat das Einzige getan, was sie konnte. Der Gruppenverstand stellte eine Gefahr dar, die mit der Zeit nur noch mächtiger geworden wäre. Manchmal ... ist eine unmenschliche Reaktion das Einzige, was wir einer unmenschlichen Gefahr entgegenstellen können.«
»Man muss das Ding umbringen, ehe es sich ausbreitet«, fand Ruhmhild. »Jeder, der vom Massenbewusstsein aufgesogen wurde, war schon in jeder entscheidenden Hinsicht tot.«
»Und wer gegen seinen Willen aufgesogen wurde?«, fragte Owen. »Worin bestand sein Verbrechen?«
»Darin, kein Mensch mehr zu sein«, antwortete Dominik. »Beurteilt uns nicht zu streng, Owen. Wir haben auch alles andere ausprobiert, was uns nur einfiel, und es hat nie funktioniert.«
Sie gingen weiter und wichen dabei den Prätorianern weiträumig aus, die gerade die verstreuten Überreste zur Entsorgung einsammelten. Owen wusste nicht recht, was er angesichts dieses Vorfalls empfand. Er konnte nicht umhin, sich zu fragen, wie nachdrücklich sich die Machthaber wohl um eine andere Reaktion bemüht hatten. Die drei drangen tiefer in die Stadt ein, die bald wieder von geschwätzigen Menschen bevölkert wurde, als wäre nichts geschehen. Dominik und Ruhmhild versuchten Owen abzulenken, indem sie über alles Mögliche plauderten: speziell Meme-Gedanken und Ideen, die sich wie Viren ausbreiteten und Menschen mit den jeweils allerneuesten Modemaschen infizierten, bis die Beeinflussten irgendwann Immunität entwickelten; Ideen, die sich unabhängig von ihren Erfindern ausbreiteten, in schwächeren Geistern festsetzten und deren Körper zu neuen Gestalten mit neuen Fähigkeiten formten. Politische Konzepte und Religionen waren zu Memen geworden, die unaufhörlich mutierten und sich vervielfältigten.
Entlang der vielen Straßen attackierten Nachrichtensender, Werbeflächen und ideologische Propagandaredner Owen von allen Seiten. Die lauten und grellen Hologramme tollten um ihn herum, egal wohin er den Blick wandte, und brüllten ihm die Ohren voll, wenn er durch sie spazierte. Ruhmhild und Dominik schienen sich nichts aus ihnen zu machen. Vermutlich waren sie so daran gewöhnt, dass sie sie einfach nicht mehr bemerkten. Owen knirschte mit den Zähnen und starrte stur geradeaus. Auf den Straßen wimmelte es von Menschen jeder neuen Form, und niemand schenkte dem Barbaren aus der Zukunft Beachtung.
Gerade als Owen dachte, dass es wenigstens nicht mehr schlimmer werden konnte, geschah natürlich genau das. Ein halbes Dutzend nackte Männer kamen die Straße herabspaziert und standen bei lebendigem Leib in Flammen. Die Menschen wichen ihnen ohne Hast aus. Flammen tanzten um die Brennenden und erzeugten eine so starke Hitze, dass andere davor zurückschreckten, aber niemand schien dieser Erscheinung besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Obgleich die Flammen sehr heftig loderten, schienen sie die Brennenden nicht zu verschlingen. Das Fleisch wurde schwarz und rissig, aber mehr passierte nicht. Die Brennenden folgten der Straße und blickten geradeaus; die schwarzen und dunkelroten Gesichter waren von endlosem Schmerz verzerrt, und die aufgesprungenen Lippen bewegten sich lautlos.
»Büßer«, erklärte Ruhmhild, die sich von Owens schockierter Reaktion amüsiert zeigte. »Sie haben sich aus Protest in Brand gesteckt. Sie missbilligen, wie weit wir uns von der menschlichen Grundform entfernt haben. Sie brennen lebendig zur Buße für die Sünden unserer Zeit. Angeber!«
»Einige brennen tagelang, andere monatelang«, ergänzte Dominik. »Und man findet immer neue Kandidaten, die für die Ausfälle einspringen. Ich finde es beruhigend, dass immer noch Menschen angesichts der Unmenschlichkeit aufschreien.«
»Selbst wenn sie es auf wirklich törichte Art tun?«, fragte Ruhmhild. »Niemand nimmt es zur Kenntnis. Niemanden schert es. Sie sind nur eine Lobby unter vielen.«
Dominik seufzte. »Darin liegt das Problem im heutigen Imperium; zu viele Überzeugungen, zu viele Religionen und Philosophien. Und viel zu viele Splittergruppen im endlosen Streit über Details und Deutungen, die nur ihnen etwas sagen. Heutzutage begegnet man Anliegen jeglicher Art - vom naturreligiösen Animismus bis zum wissenschaftlichen Determinismus, vom Wir-sind-alle-Besitz bis zu Blutopfern an Lektronen. Denkt man an die Vielseitigkeit der menschlichen Natur, wie sie sich heute darstellt, dann findet man kaum noch etwas, woran alle glauben können. Wir alle leben nur für die Gegenwart, für die Erfahrung. Der Himmel kann warten. Wir hätten uns transzendieren, uns in etwas Größeres verwandeln können, haben aber den Ball fallen gelassen. Zum Teil, weil wir Angst hatten; zum Teil, weil wir uns nicht auf eine Richtung einigen konnten; und möglicherweise, weil wir die Zukunft des menschlichen Geistes erblickten und wussten, dass wir uns seiner nicht würdig erweisen würden.«
Owen dachte an das Labyrinth des Wahnsinns, sagte aber nichts. Er konnte nicht vom Labyrinth sprechen, ohne Hazel D'Ark zu erwähnen.
Schließlich traf Owen Todtsteltzer am großen und mächtigen Hofe des Imperators Ethur ein, des ältesten lebenden Menschen im ganzen Ersten Imperium. Nicht dass irgendjemand einfach hätte hineinspazieren und eine sofortige Audienz beim Imperator verlangen können, aber Dominik Kairo und Ruhmhild Chojiro beriefen sich auf ihre alten Privilegien als Verteidiger und Investigator, und die jadegepanzerten Wachtposten winkten sie durch. Ein Investigator und ein Verteidiger der Menschheit konnten jederzeit mit dem Imperator sprechen, falls sie sagten, es bestünde eine echte und aktuelle Gefahr für die Menschheit selbst. Owen fand, dass sie mit ihren Behauptungen ein bisschen weit gingen, schwieg aber. Einer der Posten wollte ihm das Schwert wegnehmen. Owen bedachte ihn mit seiner finstersten Miene, und der Wachmann entschied, dass er dringend anderswo gebraucht wurde.
Ethurs Hofstaat war ein Tummelplatz der Ausgeflippten und der Wunder, ausgebreitet unter einer gewaltigen goldenen Schüssel von achthundert Metern Durchmesser. Man traf hier genug Höflinge an, um aus ihnen eine ordentliche Armee aufzustellen, und sie frönten, nur so zum Spaß, jeglicher Extremform von Gestalt. Das reichte vom Ästhetischen bis zum Grotesken, vom Geschmacklosen bis zum Bizarren, von Frauen, deren Brüste am Boden nachschleiften, über Menschen, die sich jedes Organ gepierct hatten, bis zu dünnen Gespenstern, die kaum wirklich zugegen waren - jeder Exzess war irgendwo vertreten. Räucherpfannen verbreiteten Düfte, und eine schrille atonale Musik bildete den Hintergrund für das konstante Stimmengewirr, bei dem alle durcheinander redeten und niemand richtig zuhörte. Die Höflinge spielten boshafte, komplizierte Kartenspiele und blickten kaum auf, wenn Ruhmhild, Dominik und Owen vorbeigingen und dabei Kurs auf den Stählernen Thron hielten. Die drei waren einfach zu normal, zu gewöhnlich. Zu langweilig, um irgendein Interesse zu verdienen. Ein paar Leute folgten Owen mit den Blicken, denn sie spürten etwas anderes an ihm, etwas ... Verstörendes. Er lächelte sie an, und sie zuckten zusammen.
Im Zentrum des Hofes, unter dem Scheitelpunkt der mächtigen goldenen Schüssel, saß Ethur auf dem Stählernen Thron, der seinerseits auf einem Podium aufragte. Der Imperator blickte mit kalten, wissenden Augen über das Gedränge an seinem Hof hinweg. Man hatte Owen vor der Verfassung des Herrschers gewarnt, aber die Realität empfand er doch als erschreckend. Ethur war der älteste lebende Mensch und saß jetzt seit über vierhundert Jahren auf dem Stählernen Thron, aber für dieses Privileg musste er einen Preis entrichten. Sein Körper war durchsetzt von Hilfsmechanismen und genmanipulierten Organen und mit Stöpseln an die Maschine angeschlossen, die den Thron bildete. Er sah nach einem Mann in den Vierzigern aus, wenn man von den vielen Drähten, Schläuchen und Kabeln absah, die ihn mit dem Thron verbanden, den er niemals verlassen konnte. Nur der Tod hätte ihm erlaubt, jemals wieder von dort aufzustehen.
Die blasse, ledrige Haut des Imperators wurde überdeckt von einem purpurroten Seidenmantel, der über den knochigen Schultern hing und gelegentlich unter den Windstößen aufwogte, die den Hof durchzogen. Nirgendwo erblickte man an Ethur Körperbehaarung, auch keine Fingernägel und keinen Nabel, und Gesichts- und allgemeine Hautfarbe wechselten ständig, während chemische Gezeiten ihn langsam durchliefen. Zuzeiten traten seltsame, scharfkantige Mechanismen aus seinem Fleisch zutage wie Kreaturen, die an die Oberfläche stiegen, nur um von einer Willensanstrengung wieder in die Tiefe gedrückt zu werden. Die blasse Haut schloss sich dann widerstrebend über ihnen, ohne dass auch nur eine Narbe zurückblieb. Ethurs Gesicht war schmal und falkenhaft und wies eine Hakennase über einem scharf gespitzten Mund auf. Seine Augen wirkten so alt wie die Welt.
Dominik und Ruhmhild blieben vor dem Podium stehen und stellten sich dem Imperator vor. Sie verneigten sich tief, aber Ethur nickte zur Antwort kaum. Verteidiger und Investigator erläuterten ihr Anliegen, und der ganze Hofstaat wurde still und hörte ihnen zu. Die Menschen betrachteten Owen mit zornigen, wütenden Blicken, und geflüsterte Worte wie Verrückter Verstand liefen wie eine eisige Brise durch die Reihen der Höflinge. Bewaffnete Wachleute rückten langsam durch den Hofstaat vor und umzingelten Owen, der höflich so tat, als merkte er es nicht. Endlich stellten Dominik und Ruhmhild auch Owen dem Imperator vor, und Owen verbeugte sich höflich. Ethur musterte ihn eine ganze Weile lang nachdenklich und meldete sich schließlich mit einer Stimme zu Wort, die fast nur ein Flüstern erzeugte und angestrengt klang, als müssten die Worte aus großer Tiefe geholt werden.
»Also, Owen, Ihr stammt aus der Zukunft und möchtet Uns besuchen. Endlich mal etwas Neues. Wie wundervoll! Man trifft an Unserem Hofstaat häufig Neuerungen an, aber nur selten etwas wahrhaft Neues. Ihr habt wohlgetan, Verteidiger und Investigator, aber wo bleibt die Gefahr für Unsere Welt, von der Ihr gesprochen habt? Ich sehe hier nur einen unterentwickelten Mann, gekleidet wie ein Barbar und auch so bewaffnet.« Er legte eine Pause ein, damit erst mal eine Welle leisen Gelächters ihre Bahn durch die Reihen der Höflinge ziehen konnte. »Ihr stammt vielleicht aus derselben Zukunft wie der Verrückte Verstand, Owen, aber Ihr scheint nicht annähernd so gefährlich.«
»Ich bin nicht gefährlich«, sagte Owen. »Wirklich nicht. Ich bin nur auf Besuch, auf eine nette Tasse Tee, ein paar Antworten auf ein paar Fragen, und sogleich bin ich wieder unterwegs.«
»Darüber entscheiden Wir«, gab Ethur zu bedenken.
»Owen verfügt über ... gewisse Fähigkeiten, Eure Majestät«, warf Dominik ein. »Er hat uns die Stadt zurückgegeben, die verloren wurde, und die Überlebenden wieder in Menschen verwandelt! Ein Wunder ... aber meine Partnerin und ich empfanden uns nicht als würdig, seine Fähigkeiten und sein Potenzial selbst zu beurteilen, und daher sind wir gemeinsam zu der Einsicht gelangt, ihn zu Euch zu bringen.«
»Ihr hattet Anweisung erteilt, Eure Majestät«, sagte Ruhmhild, »dass jeder weitere Besucher aus der Zukunft für die Verbrechen des Verrückten Verstandes bestraft werden sollte. Wir... vermochten jedoch nicht zu entscheiden, ob Owen eine Gefahr der gleichen Größenordnung darstellt. Also sind wir hier und erwarten Euer Urteil.«
»Ja, ja«, sagte Ethur, beugte sich so weit vor, wie ihm die Schläuche und Kabel erlaubten, und starrte Owen direkt an. »Die Wunde in Unserer Welt wurde also endlich durch einen Willensakt geheilt. Wahrhaftig ein Wunder! Unsere Wissenschaftler erleiden deshalb gerade alle möglichen Formen hysterischer Anfälle. Es ist ihnen so zuwider, wenn man sie übertrumpft! Und mehr als zweihundert Überlebende schienen wieder normal geworden. Wahrhaft beeindruckend, Owen. Natürlich haben Wir sie sofort umbringen lassen.«
»Ihr habt was?«, fragte Owen. »Warum um Gottes willen?«
Ethur lächelte ein wenig über Owens raue Stimme. »Das Risiko war zu groß. Sie wären vielleicht rückfällig geworden oder hätten sich als ansteckend erwiesen. Sie waren einmal nichtmenschlich, und das reicht. Ihr dürft kein Urteil über Uns fällen, Mann aus der Zukunft. Wir sind hier in Unserer Zeit, und Wir treffen hier die Entscheidungen.«
»Und nur solche Wunder sind gestattet, die Ihr selbst vollbringt?«, fragte Owen. »Leben und Tod, nur nach Eurem Befehl? Na ja, ich schätze, manche Dinge ändern sich nie, egal welches Zeitalter wir schreiben.«
Er war jetzt gänzlich von Wachsoldaten umzingelt, die ihre Strahlenwaffen ganz offen auf ihn richteten. Owen betrachtete sie nachdenklich, und Dominik und Ruhmhild bewegten sich unbehaglich. Und in diesem Augenblick hatte Imperatorin Hermione ihren Auftritt; sie spazierte ohne jede Eile durch den breiten Gang, den die Höflinge für sie öffneten. Owen hatte von der Imperatorin gehört, aber ihr Auftreten war für ihn doch so etwas wie ein Schock. Sie schwebte lautlos durch den Kordon der Wachsoldaten, ging an Owen vorbei, ohne ihn anzusehen, und stieg langsam die Stufen zum Podium hinauf, um neben ihrem Gatten und dem Stählernen Thron Stellung zu beziehen.
Hermione war fünfzehn Jahre alt, eine große gertenschlanke Blondine in fließender weißer Seide und außerdem hochschwanger. Ethur hatte sie, als sie dreizehn war, zur jüngsten seiner zahlreichen Bräute bestimmt, und niemand stellte das in Frage, denn er war ja schließlich der Imperator und wusste es am besten. Hermiones ruhiges, ungerührtes Gesicht wirkte leer und müde, als würde die Schwangerschaft sie viel kosten. Es war nicht ihre erste. Kaum war sie Ethurs Braut geworden, da wurden sowohl natürliche als auch unnatürliche Methoden eingesetzt, um sie mit dem uralten Samen des Imperators zu schwängern.
Er benötigte verzweifelt einen Erben. Die beiden ersten Schwangerschaften endeten vor der Geburt, aber alle Welt hegte große Hoffnungen für die dritte. Alle Welt außer Hermione, aber andererseits scherte sich niemand um das, was sie dachte. Diese Vorgänge hatten eindeutig Spuren an ihr hinterlassen. Das hübsche, puppenhafte Gesicht drückte keinerlei Emotion aus, und die Augen blickten leer. Ethur streichelte mit den langen bleichen Fingern ihre Wange, aber sie reagierte überhaupt nicht darauf. Ethur lächelte auf Owen herab.
»Je älter Wir werden, desto jünger gefallen sie Uns. Menschen werden einander so schnell ähnlich ... nur die Jungen weisen echte Individualität auf, und sie schwindet rasch. All Unsere Ehefrauen waren einst so zarte Blumen ...«
»Wie viele hattet Ihr?«, erkundigte sich Owen.
»Wer kann das sagen? Manche waren denkwürdiger als andere. Manche schenkten Uns Kinder, aber früher oder später haben Wir alle Unsere Erben umgebracht. Weil sie schlecht oder ungeeignet waren. Sie waren allesamt so enttäuschend ... Trotzdem bleiben Wir optimistisch. Wir hoffen stets, dass sich der Nächste als besser erweist.«
»Schlechtes Blut tritt immer zutage«, meinte Owen. »Und Monster haben die Tendenz, sich charaktergerecht fortzupflanzen.«
Die Höflinge schnappten nach Luft, und der Imperator warf ihm einen scharfen Blick zu, ehe er sich auf dem Stählernen Thron zurücklehnte. Die Schläuche und Kabel rings um ihn murmelten, als wäre es ihnen zuwider, gestört zu werden.
»Ihr seid nicht der erste Besucher aus der Zukunft, Owen. Vor zwölf Jahren fiel ohne Vorwarnung der Verrückte Verstand über Uns her. Er riss Unsere Welt in Stücke, auf der Suche nach Kenntnissen, die Wir nicht hatten. Wir haben in der Erforschung des Körpers viel erreicht, aber selbst Wir können nicht die Toten wiedererwecken. Der Verrückte Verstand wollte Uns nicht glauben. Er tobte in Unseren Städten, riss Universitäten und Laboratorien auf, brachte dabei Hunderttausende um. All Unsere Streitkräfte standen dieser ... Kreatur hilflos gegenüber. Sie entführte Unsere größten Wissenschaftler und Denker und entriss ihren Gehirnen alles Wissen. Was sie zurückließ, was sie als leere Hülsen wegwarf, wäre besser tot gewesen. Und als letztlich halb Herzwelt in Trümmern lag oder brannte und sich die Toten überall häuften, verschwand der Verrückte Verstand so unvermittelt, wie er aufgetaucht war. Unser Volk ist immer noch dabei, zu trauern und seine Welt wieder aufzubauen.
Wir wissen alles über Monster, Owen.
Und jetzt seid Ihr hier, aus derselben Zukunft, und behauptet, der Verrückte Verstand wäre Eure Freundin. Wir warten schon lange auf noch jemanden wie Euch. Überall haben Wir Unsere Fallen ausgelegt, speziell für Kreaturen Eurer Art. Ihr werdet für die Verbrechen Eurer Freundin bezahlen. Aus welcher verrückten Hölle an Zukunft Ihr stammt, die solche Monstrositäten hervorbringt - wir möchten damit nichts zu tun haben. Und hoffentlich wird der entsetzliche Zustand Eures Leichnams, wenn er schließlich in die Zukunft zurückkehrt, jeden anderen abschrekken, dem vielleicht danach ist, Uns zu besuchen.«
»Also ist die Tasse Tee vom Tisch?«, fragte Owen. »Wie schade.« Er blickte Hermione an. »Ich kann Euch von hier wegbringen. Euch anderswo hinbringen. Ihr braucht es mir nur zu sagen.«
»Ich bin hier glücklich«, behauptete die Imperatorin Hermione mit hoher, kindlicher Stimme. »Ich gehöre hierher.«
Ja, räumte Owen in Gedanken widerstrebend ein. Das tut Ihr. Und eines Tages werdet Ihr einem Mann namens Giles Todtsteltzer begegnen, und das Kind, das Ihr zusammen zeugt, wird solch wunderbare Dinge vollbringen...
Er seufzte laut und blickte wieder Ethur an. »Es wird keine weiteren Besuche aus der Zukunft geben.«
»Könnt Ihr das garantieren?«, fragte der Imperator. »Nicht, dass es darauf ankäme. In Eurer Lage würdet Ihr einfach alles sagen. Ihr wirkt nicht annähernd so gefährlich wie Eure Vorgängerin, aber Uns ist nicht danach, irgendein Risiko einzugehen. Nicht nach dem, was Ihr mit der verlorenen Stadt getan habt.« Er brach auf einmal ab, hatte eine Idee. »Erzählt Uns von der Zukunft, Monster. Was wird zwischen jetzt und dann geschehen und Kreaturen wie Euch hervorbringen?«
»In meiner Zeit«, antwortete Owen, »steht die gesamte Menschheit vor der Gefahr, vernichtet zu werden. Ein Feind nähert sich, den wir weder aufhalten noch umlenken können. Ich hege die Hoffnung, dass ich, indem ich dem Verrückten Verstand folge und ihn aufhalte, lernen kann, wie ich die Menschheit in meiner Zeit retten kann. Ihr dürft mich nicht aufhalten, Eure Majestät. Die Zukunft unserer Lebensform hängt womöglich von dem ab, was ich lerne.«
»Eine Zukunft voller Monster verdient nicht gerettet zu werden«, meinte Ethur. »Vielleicht finden Wir, indem Wir Euch vivisezieren und Euren Verstand sondieren, die Kenntnisse, mit deren Hilfe Wir eine andere Zukunft begründen können. Euer langsamer und grauenhafter Tod wird vielen Zwecken dienen, Owen. Versucht, das nicht zu vergessen, während Ihr schreit. Wir werden Gerechtigkeit erfahren für das, was Uns angetan wurde. Wir werden Rache üben.«
»Und das nach allem, was ich für Euch getan habe«, sagte Owen.
»Wir werden aus der Agonie Eures Körpers und Eures Verstandes erfahren, wie Ihr jene Stadt und ihre Bewohner neu erschaffen konntet. Nichts wird vergeudet werden.«
»Denkt an all das Gute, das ich vollbringen kann.«
»Wir dulden keine Macht im Imperium, die größer ist als Unsere«, entgegnete Ethur. »Wir allein wissen, was für die Menschheit das Beste ist.«
»Nichts ändert sich jemals«, sagte Owen Todtsteltzer.
Mit lässigem Achselzuckten blies er die Energiefesseln von den Handgelenken, und die Wachleute ringsherum schrien erschrocken auf. Strahlenwaffen zielten aus allen Richtungen auf ihn, und sogar Dominik Kairo und Ruhmhild Chojiro hielten Waffen in den Händen. Die Höflinge schrien durcheinander und gaben sich Mühe, aus der Schusslinie zu hasten. Rings um Owen wechselten Personen in gefährlichere Kampfkörper. Owen ignorierte sie alle und behielt den verblüfften Imperator fest im Auge.
»Egal, welches Zeitalter man schreibt: Imperatoren sind immer eine schlechte Idee. Ich denke, das ganze Konzept wirkt sich dem Wesen nach korrumpierend aus. Leute sollten nicht so viel Macht in Händen halten. Es ist nicht gut für sie. Also verzeiht, aber ich lehne es ab, viviseziert zu werden. Auf mich wartet Arbeit.«
Er sah sich gelassen um. Die Wachsoldaten präsentierten sich jetzt als große metallische Gestalten oder als Mischformen verschiedener Kreaturen. Er sah hohe Insektengestalten, um deren verzweigte Stacheln wilde Energien funkelten. Und ein paar Gestalten ergaben für Owen nicht mal Sinn. Mehr Schusswaffen waren auf ihn gerichtet, als er während der ganzen Rebellion gesehen hatte. Er wandte sich wieder Ethur zu.
»Buh!«
Sämtliche Waffen eröffneten gleichzeitig das Feuer, und enorme Energien zuckten aus ihnen hervor, um Owen zu vernichten. Er hielt sie mit einem bloßen Gedanken mitten in der Luft auf. Sie hingen dort hilflos, gefangen zwischen einem Augenblick und dem nächsten. Owen überlegte kurz und absorbierte dann sämtliche Energien. Er wollte nicht, dass sie Amok liefen, sobald er fort war, und unschuldige Passanten verletzten. Vorausgesetzt, so was gab es überhaupt ... Die Wachsoldaten wollten erneut schießen, aber ihre Waffen funktionierten nicht, weil Owen es so beschlossen hatte. Er hätte alle hier mit einem bloßen Gedanken töten können, verzichtete aber darauf. Die Leute taten ja nur ihre Arbeit. Er hätte den Imperator umbringen können ... aber die Geschichte musste ihren Lauf nehmen. Und er wollte die eigene Macht nicht missbrauchen. Ein solcher Weg führte nur zu Imperatoren und so was wie dem Verrückten Verstand.
Er stieg aufs Podium und blickte Ethur direkt ins Gesicht. »Ich sollte Euch von diesem Thron rupfen und Euch mit den eigenen Lebenserhaltungssystemen erwürgen. Das kann ich jedoch nicht tun, denn die Geschichte hat ihre eigenen Erfordernisse. Was Ihr in kommenden Jahren tut, wird letztlich zu einem besseren Imperium führen. Meine schönste Vergeltung ... besteht in dem Wissen, dass Ihr das künftige Imperium wirklich hassen werdet.«
»Es ist noch nicht vorbei«, sagte Ethur.
Er gab seinen Wachleuten einen Wink. Augenblicklich umzingelten sie Ruhmhild und Dominik und richteten die Waffen auf sie. Owen blickte die Wachen an und dann wieder den Imperator.
»Ihr hängt an den beiden«, sagte Ethur. »Ihr macht Euch etwas aus ihnen. Wir haben entsprechende Meldungen erhalten. Also ergebt Euch, oder sie sterben. Gleich hier und jetzt. Oder opfert Ihr Eure neu gefundenen Freunde der Notwendigkeit und erweist Euch als so unmenschlich wie der Verrückte Verstand?«
»Man trifft an diesem Hofe nur ein Monster an, Ethur«, entgegnete Owen.
Er sammelte Rumhild und Dominik mit seinen Gedanken ein, und innerhalb eines Augenblicks waren sie zurück auf dem Raumhafen. Der Investigator und der Verteidiger blickten sich benommen um, erschrocken von dieser plötzlichen Versetzung. Mächtige Silberschiffe ragten über ihnen auf, und Menschen kamen und gingen, nur auf die eigenen Geschäfte bedacht. Ruhmhild erholte sich als Erste und bedachte Owen mit einem harten Blick.
»Ich wusste nicht, dass Ihr so was könnt.«
»Ich auch nicht«, sagte Owen. »Ich lerne inzwischen ständig dazu. Es scheint, dass ich Euer beider Leben ruiniert habe, einfach indem ich Euch begegnete. Ich fürchte, Ihr könnt nicht zum Hofe zurückkehren - niemals wieder. Ihr könnt darauf wetten, dass Ethur nach jemandem Ausschau hält, um seinen Zorn an ihm zu stillen, da er jetzt mich nicht mehr hat.«
»Er würde uns umbringen lassen«, sagte Dominik benommen. »Wir haben ihm unser Leben gewidmet, und letztlich bedeutet es ihm nichts.«
»Na ja«, sagte Owen. »Imperatoren sind meist so.«
»Er hat uns verraten!«, sagte Ruhmhild. Etwas hatte sich in ihrer Miene, ihren Augen verändert. »Man muss etwas unternehmen, um Imperatoren ihre Macht zu nehmen!«
»Nicht mal Herzwelt ist jetzt noch ein sicherer Ort für uns«, sagte Dominik. »Wir müssen versuchen, auf den Grenzplaneten unterzutauchen. Müssen unseren Familien, unseren Freunden Lebwohl sagen... Ich hatte mir nie etwas anderes gewünscht, als ein Verteidiger der Menschheit zu sein, und auch das muss ich jetzt aufgeben. Verdammt sollt Ihr sein, Owen! Warum musstet Ihr uns aussuchen?«
»Es tut mir Leid«, sagte Owen. »Glaubt mir, ich weiß, wie Ihr Euch fühlt.« Er blickte sich auf dem Raumhafen um und zur Stadt in der Ferne hinüber. »Dieses Imperium ist zu meiner Zeit eine Legende; die größte Blüte der menschlichen Zivilisation. Ich hatte ... das hier nicht erwartet. So viel mehr, und so viel weniger! Aber falls irgendjemand hätte wissen sollen, dass man Legenden nicht trauen darf, dann ich.«
Ruhmhild runzelte die Stirn. »Falls Ihr aus der Zukunft stammt, müssten die Verhältnisse bei uns für Euch Geschichte sein. Habt Ihr diese Zeit nicht erforscht, ehe Ihr aufbracht?«
»Wir haben keine Unterlagen darüber«, antwortete Owen. »Nur ... Erzählungen.«
Dominik musterte Owen forschend. »Etwas wird passieren - etwas. .. Schlimmes? Was verheimlicht Ihr uns, Owen?«
»Wird der Verrückte Verstand zurückkehren?«, fragte Ruhmhild.
»Nein.« Owen betrachtete sie beide voller Mitgefühl. Er hätte sie gern angelogen, schuldete ihnen jedoch die Wahrheit. »Euer Imperium wird verfallen und stürzen. Wir wissen nicht genau, wann oder warum. Vielleicht wärt Ihr auf einem Grenzplaneten letztlich doch sicherer.«
Dominik und Ruhmhild rückten näher zusammen, als suchten sie Trost und Schutz. Eine unbestimmte Furcht tauchte in ihren Blicken auf, eine Furcht vor schlechten Zeiten, die näher rückten und die sie, wie sie jetzt wussten, nicht würden aufhalten können.
»Wer seid Ihr, Owen?«, fragte Ruhmhild. »Wer seid Ihr in Wirklichkeit?«
»Nur ein Mann, der das Richtige zu tun versucht«, sagte Owen. »Letztlich bleibt einem nie etwas anderes.«
»Wohin ... wendet Ihr Euch als Nächstes?«
»Meine Freundin - Euer Verrückter Verstand - lässt eine Fährte zurück, wenn sie durch die Zeit reist. Ich werde die Fährte neu aufnehmen und ihr folgen, wohin immer sie führt. Und ich hoffe dabei, dass ich meine Freundin einhole, ehe sie weiteres Unheil anrichtet. Ich habe sie hier nur um zwölf Jahre verpasst, und das ist nach einer Reise von fast tausend Jahren kein schlechtes Ergebnis. Lebt wohl, meine Freunde. Beginnt irgendwo ein neues Leben. Und vergesst nicht: blickt nach vorn, niemals zurück.«
Er ließ seinen Griff um die Zeit los, und der Planet stürzte unter ihm davon, sodass Owen wieder im freien Weltraum schwebte. Er suchte nach Hazels Fährte und stellte überrascht fest, dass sie nicht wieder sofort in den Zeitstrom führte. Hazel schien so etwas wie einen kleinen Ausflug eingelegt zu haben, der sie zu einem der Grenzplaneten führte, in jener Region, die man eines Tages den Rand nennen würde. Neugierig folgte Owen der Spur und benutzte die Sterne als Trittsteine für seinen Weg zum Rand der Zivilisation.

Es war ein grüner Planet, jung und voller Leben, und Menschen waren dort noch neu. Owen schwebte auf einer Umlaufbahn und erkundete den Planeten mit seinen erweiterten Sinnen. Er brauchte Dinge nicht mehr unmittelbar zu sehen oder zu hören; er wusste sie auch so. Man fand kaum hundert Städte auf diesem Planeten, die meisten wenig mehr als Ansammlungen einiger Backstein- und Holzbauten. Ein einzelner Raumhafen fertigte ausschließlich zu Besuch kommende Schiffe ab, denn die hiesige Zivilisation war technisch unterentwickelt und glitt langsam, aber unausweichlich in die Barbarei zurück. Armeen führten ständig Kriege, obwohl nicht klar war, worum es dabei eigentlich ging, von Territorium mal abgesehen. Hier fand man nur Menschen in ihrer Grundausgabe vor und stieß nicht auf extreme Gestalten oder Adaptationen. Ein paar Schusswaffen gab es, aber Stahl war die Waffe der Wahl. Owen stellte amüsiert fest, dass er sich hier wohler fühlte als auf Herzwelt.

Er materialisierte inmitten eines großen Waldes aus enormen Bäumen mit blau-schwarzer Rinde und schweren fleischigen Blättern von einem so strahlenden Grün, dass sie beinahe leuchteten. Die Bäume ragten rings um ihn auf und standen so dicht, dass sie das meiste Licht der strahlenden silber-blauen Sonne aussperrten. Die Luft war kühl und frisch und erfüllt mit den Düften lebendiger Dinge. Bodennebel kräuselte sich hierhin und dorthin, obwohl kein Wind wehte. Owen blickte sich bedächtig um. Dunkle Schatten lagen zwischen den Bäumen, und Staubflocken drehten sich langsam in den silbernen Lichtbalken, aber nirgendwo erblickte er eine Spur menschlicher Präsenz.

Erneut war Hazel schon auf und davon. Erneut hatte er sie verpasst. Und doch verriet dieser Planet keine Spur von Beschädigung, nichts von den Verwüstungen, die Hazel Herzwelt zugefügt hatte. Was hatte sie hergeführt zu einem so abgelegenen Ort? Owen drehte sich scharf um. Jemand kam. Nach einer Weile hörte er auch Schritte näher kommen und die Stimme eines Knaben, der aufgeregt bellenden Hunden nachrief. Und schließlich kam ein dunkelhaariger Junge von etwa zehn Jahren den schmalen Pfad entlanggelaufen und folgte dabei zwei in großen Sätzen dahinspringenden Jagdhunden. Er rief den Hunden einen scharfen Befehl zu, als er Owen erblickte, und die Tiere hielten abrupt an. Sie betrachteten Owen argwöhnisch und hechelten dabei. Der Junge kam langsam näher und blieb neben ihnen stehen. Er trug ein Schwert an der Seite. Owen schenkte ihm sein allerberuhigendstes Lächeln.

»Hallo, ich bin Owen. Ich bin nur auf Besuch.« »Außerplanetar«, sagte der Junge, während er Owens Kleidung betrachtete. Er selbst steckte in grob genähten Fellen über einem schlichten Kittel. »Wir bekommen heutzutage nicht mehr viele Touristen zu sehen. Und so gefällt es uns auch. Ihr seid ganz schön weit vom Raumhafen entfernt. Habt Ihr Euch verlaufen?«

»Nein«, antwortete Owen. »Ich ... sehe mich nur um. Möchtest du mir deinen Namen nennen?«
Der Junge grinste kurz. »Mama sagt immer, ich hätte keine Manieren. Ich bin Giles VomAcht aus Stadt Hadrian. Mein Vater ist dort der Kriegsmeister. Und diese beiden übereifrigen Burschen hier heißen Jäger und Schnüffler. Denn das ist ihre Aufgabe.«
Die Hunde blickten auf, als sie ihre Namen hörten, und Giles tätschelte ihnen die Köpfe, bis sie sich wieder beruhigt hatten.
»Auf der Jagd?«, fragte Owen. »Was jagst du?«
Giles grinste wieder. »Im Grunde alles, was sich bewegt. Wir sind da nicht wählerisch. Wir jagen einfach gern. Wir fangen genug, um satt zu werden, und lassen den Rest wieder laufen. Was tut Ihr hier, Owen?«
Owen grinste ebenfalls. »Ich folge einer Fährte. Genau wie du.«
Owen und der junge Giles setzten sich zusammen an den Wegesrand, unterhielten sich eine Zeit lang und genossen die Gesellschaft des jeweils anderen. Owen fand den Jungen umgänglich und liebenswert, und der Junge war neugierig auf Nachrichten von anderen Planeten. Die Hunde setzten sich vor sie und gähnten und kratzten sich, während sie geduldig darauf warteten, dass es mit der eigentlichen Aufgabe, der Jagd, weiterging.
»Habt Ihr keinen Clannamen, Owen?«, fragte Giles nach einer Weile. »Familie ist wichtig! Die VomAchts herrschen über Stadt Hadrian.«
»Natürlich. Ich bin Owen, Oberhaupt des Clans Todtsteltzer.«
»Verdammt! Das ist jetzt mal ein Clanname! Todtsteltzer ...« Der Junge sprach des Wort mehrere Male aus und ließ den Namen in voller Länge auf der Zunge zergehen. »So einen Namen hätte ich gern! Der Name eines Kriegers. Woher stammt Ihr?«
»Gerade komme ich von Ethurs Hof auf Herzwelt. Ich hatte eine Audienz beim Imperator.«
Giles spuckte auf den Boden und sprach ein unanständiges Wort aus, und die Hunde bewegten sich voller Unbehagen über die plötzliche Wut im Tonfall des Jungen. »Er ist nicht mehr unser Imperator! Wir haben uns abgespalten. Das hier ist jetzt unser Planet, obwohl die Clans immer noch über den Namen streiten. Wir vermissen weder Ethur noch sein Imperium. Beide haben nie etwas für uns getan.« Er runzelte kräftig die Stirn und schob die Unterlippe vor. »Heute findet man zu viele Ausgeflippte und Mutanten im Imperium; das sagt Vati zumindest. Es sollte eigentlich ein Imperium der Menschen sein.«
»Was möchtest du mal werden, wenn du groß bist?«, fragte Owen.
»Natürlich ein Krieger! Wie mein Vater. Ich bekomme ihn nur selten zu sehen; er ist oft unterwegs, weil man ihn im Krieg braucht. Er kämpft für die Sicherheit unserer Stadt. Ich wünschte, er hätte mehr Zeit für mich. Ich weiß, dass das egoistisch von mir ist, aber ... Wenn ich alt genug geworden bin für einen Krieger, kämpfe ich auch für unsere Stadt. Ich sorge dafür, dass Vati stolz auf mich ist. Dass er Notiz von mir nimmt.«
Das nachdenkliche Gesicht des Jungen widersprach den stolzen Worten, und Owen entschied, das Thema zu wechseln.
»Giles, hast du in letzter Zeit irgendwas ... Merkwürdiges gesehen? Etwas Ungewöhnliches? Vermutlich hier in der Gegend.«
»Ja!«, antwortete Giles sofort. »Vor ein paar Monaten. Ich habe gleich hier im Wald einen Engel gesehen!« Er musterte Owen vorsichtig, um sicherzugehen, dass der neue Freund ihn nicht auslachte, und als ihn Owens Miene beruhigte, fuhr er fort: »Zunächst spürte ich nur ihre Anwesenheit und wie sie mich ansah. Dann wurde sie zu einem hellen Licht, das auf mich herableuchtete, und schließlich zu einer leuchtenden Frau. Sehr hübsch, mit roten Haaren. Sie hatte keine Flügel und keinen Heiligenschein, aber ich wusste, dass sie ein Engel sein musste. Ich spürte richtig die Macht in ihr. Ihr glaubt mir doch, nicht wahr, Owen?«
»Ja«, sagte Owen, »das tue ich.«
»Niemand sonst tut es.« Giles zuckte die Achseln. »Ist aber egal. Ich weiß, was ich gesehen habe.«
»Hat der Engel... irgendwas zu dir gesagt?«
››Nein ... ich dachte, sie würde, aber dann hat sie mich einfach nur angesehen und ist wieder verschwunden. Warum sollte sich mir ein Engel offenbaren? Ich bin niemand besonderes. Vielleicht war es ein Vorzeichen, um mir zu sagen, dass eine große Bestimmung auf mich wartet!«
»Vielleicht trifft das zu«, sagte Owen. »Ich kannte einmal einen Giles. Er war ein großer Krieger. Viel Glück auf deiner Jagd, Giles. Ich muss jetzt gehen.«
Und er verschwand direkt vor Giles' Augen und ergötzte sich am überraschten Ausdruck im Gesicht des Jungen.
Erneut löste Owen den Griff um die Zeit, und die Galaxis wirbelte um ihn herum, während er, Hazels Fährte folgend, in die Vergangenheit stürzte. Er hatte noch einen weiten Weg vor sich, und sogar noch länger, bis er sich endlich würde ausruhen können.
In dem Wald, den er verlassen hatte, zuckte der Junge, aus dem eines Tages Giles Todtsteltzer werden würde, lässig die Achseln und akzeptierte das Wunderbare, wie es Kinder nun mal tun; und schon setzte er die Jagd fort und rannte mit glücklichem Herzen in Gesellschaft seiner geliebten Hunde durch den dunklen Wald.

KAPITEL VIER